„Wer künftig kein Rezyklat einsetzt, wird seine Produkte nicht mehr absetzen – Prof. Christian Hopmann, Leiter des IKV an der RWTH Aachen, erklärt im Interview mit Circular Technology, warum Kreislaufwirtschaft zur Existenzfrage für die Kunststoffindustrie wird. Im Gespräch beleuchtet Hopmann das Spannungsfeld zwischen niedrigen Neuwarepreisen und steigendem ökologischen Druck, die Notwendigkeit klarer regulatorischer Vorgaben und den Beitrag der Forschung zu besseren Rezyklaten und recyclinggerechtem Design. Er schildert konkrete Projekte wie LOOPCYCLING, Plasmatechnologien oder Smellstop, die Recyclingprozesse verbessern und Innovationen beschleunigen. Außerdem zeigt er, welche Themen die K 2025 prägen werden – von Kreislaufwirtschaft über Digitalisierung bis zu den Anwendungen von Kunststoffen für die Energiewende. Nicht zuletzt spricht er über Nachwuchsarbeit und das Image der Branche, das durch Begeisterung für Technik und praxisnahe Projekte verbessert werden kann.
Kunststoffmärkte im Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie

Circular Technology: Die Preise für Neuware-Kunststoffe sind aktuell sehr niedrig – gleichzeitig wächst der Druck, Kunststoffabfälle konsequent zu vermeiden und Kreisläufe zu schließen. Wie beurteilen Sie dieses Spannungsfeld zwischen ökonomischem Kostendruck und ökologischem Handlungsbedarf für die Branche?
Prof. Christian Hopmann: Das Spannungsfeld zwischen ökonomischem Druck und ökologischem Anspruch ist real – aber ich sehe darin auch einen klaren Ansporn für die Branche, Rezyklate von hoher Qualität bereitzustellen, die sich genauso robust und effizient verarbeiten lassen wie Neuware. Außerdem müssen wir zweifellos die Kosten runterbringen.
Natürlich können wir aus der Forschung heraus nicht direkt auf Marktpreise für Rezyklate einwirken. Wenn der Einsatz rezyklierter Kunststoffe politisch gewollt ist, braucht es verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen, die Nachhaltigkeit auch wirtschaftlich attraktiv machen. Hier ist also die Politik gefordert.
Was wir allerdings sehr wohl leisten können – und auch bereits tun – ist die Entwicklung technischer Lösungen, um bessere Rezyklate besser verfügbar und besser einsetzbar zu machen. Hierzu gehört im allerersten Schritt ein konsequentes Design for Recycling in der Produktentwicklung. Es ist zu erkennen, dass in vielen Anwendungen von der Automobilindustrie bis zur Verpackung diese Denkweise Einzug in die Realität gefunden hat und mit neuen Werkstoffkonzepten und Prozesstechnologien den Anforderungen des Recyclings bzw. der Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung Rechnung getragen wird. Aus meiner Sicht ist bei allen Schwierigkeiten, die auf dem Weg zu einer Kreislaufwirtschaft kaum gänzlich vermeidbar sind, die Änderung des Mindsets ein entscheidender Faktor. Und auf diesem Feld sehen wir sehr viel Dynamik und Energie.
Kreislaufwirtschaft: Stand und Perspektiven
CT: Wo steht die Kunststoffindustrie heute beim Thema Kreislaufwirtschaft, insbesondere im Hinblick auf werkstoffliches Recycling und den Einsatz von Rezyklaten? Und was sind die größten technologischen oder regulatorischen Hemmnisse?
Hopmann: Der Einsatz von Rezyklaten wird schon bald eine Frage der betrieblichen Existenz sein, denn wer kein Rezyklat einsetzt, wird seine Produkte nicht absetzen. So schlicht und so folgenreich stellt sich die Lage dar. Die Kreislaufwirtschaft hat daher in der Kunststoffindustrie in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen – vorzugsweise auf regulatorischem Druck, aber auch durch ein wachsendes Bewusstsein in der Branche selbst. Technologisch sind wir auf einem guten Weg, denn die Bereitschaft, nicht nur Produkte zu entwickeln, die beim Kunden und Verbraucher ihren Dienst zuverlässig leisten, sondern auch das Recycling ermöglichen, ist in der Breite entstanden. Der Weg ist aber bei weitem noch nicht vollständig beschritten.
„Ein bunter Polymermix mit vielen verschiedenen Additiven kann für die Anwendung gut sein, für das Recycling ist er eine Katastrophe“

Wir sehen, dass sich unter den Erfordernissen der Kreislaufwirtschaft die Zusammensetzung der Altkunststoffe je nach Produktlebensdauer – bei Verpackungen geht das naturgemäß schneller als in der Automobil- oder Bauindustrie – kontinuierlich ändert, so dass die Erzeugung hochwertiger Rezyklate auf eine neue Qualitäts- und Kostenbasis gestellt wird. Denn es ist egal, welches Recycling-Verfahren zum Einsatz kommt, ob mechanisch oder chemisch, der Aufwand und die Kosten sowie die erreichbare Rezyklat-Qualität sind direkt von diesem Faktor abhängig. Ein bunter Polymermix mit vielen verschiedenen Additiven kann für die Anwendung gut sein, für das Recycling ist er eine Katastrophe. Und genau da passiert in der Forschung und in der Produktentwicklung derzeit geradezu Revolutionäres, es werden Mauern eingerissen und es öffnet sich Raum für Lösungen, die bislang kaum den Weg aus dem Labor finden konnten.
Denken Sie beispielsweise an unsere Plasmatechnologien zur Erzeugung hauchdünner Barriereschichten. Wir forschen daran seit Jahrzehnten, sehen schon lange klare Vorteile in den Kosten und der Funktionalität. Aber es ist eben eine ganz andere Barriere-Technologie, und erst jetzt, da die Nachhaltigkeit etablierte Lösungen ins Abseits stellt, entsteht ein Markt für derartige Innovationen, den unser Spin-Off Ionkraft bereits sehr erfolgreich bedient.
Oder schauen wir auf unser Projekt LOOPCYCLING zum Advanced Mechanical Recycling flexibler Verpackungen. Hier zeigen wir, dass es möglich ist, PE-Rezyklate aus Haushaltsabfällen mit hoher Qualität herzustellen – bis hin zur Eignung für kontaktsensitive Anwendungen. Dazu durchleuchten wir mit unseren industriellen Partnern die gesamte Prozesskette vom Sammeln, Sortieren, Waschen, Compoundieren bis zur Wiederverarbeitung und Analyse der Produkte aus diesen Rezyklaten. Die ganzheitliche Optimierung dieser Prozesskette zeigt auf, was heute geht, und deckt die Schwachstellen auf. Und an diesen setzen wir dann nach.
So haben wir die hohe Relevanz der Entfernung von Druckfarben für die Qualität des Rezyklats herausgearbeitet. Wir untersuchen De-Inking Prozesse, qualifizieren verschiedene Typen von Druckfarben in Hinblick auf diese De-Inking-Prozesse und den Recyclingprozess und können so Lösungen erarbeiten, die zu veränderten Produkten und gleichzeitig zu besseren Recyclingprozessen führen.
Im Wechselspiel des technisch Machbaren und des wirtschaftlich Erträglichen erarbeiten wir so tragfähige Lösungen für unsere industriellen Partner. Das ist offen gesagt ein recht aufwendiges Unterfangen, das anspruchsvolle Forschung erfordert. Es lohnt sich aber, diesen Weg zu gehen, weil nur so eine stabile Basis für innovative Produkte und Prozesse einerseits und eine wissenschaftlich fundierte Diskussion sinnvoller Ziele und Quoten im politisch-gesellschaftlichen Raum andererseits zur Verfügung gestellt wird.
Neben besseren Rezyklatqualitäten zu geringeren Kosten erschließen wir für unsere Technologiepartner Innovationen in Maschinenbau, Prozesstechnik und den Werkstoffen und tragen damit auch zu exportfähigen Produkten bei. Es gewinnen damit alle Beteiligten der Wertschöpfungskette.
K 2025 – Schaufenster der Zukunftstechnologien
CT: Im Oktober steht mit der K Messe ein zentrales Branchenereignis an. Welche Themen werden aus Ihrer Sicht dort besonders im Fokus stehen – und in welchen Bereichen sind bedeutende technologische Entwicklungen zu erwarten?
Hopmann: Die K 2025 wird einmal mehr zeigen, wie innovationsfähig die Kunststoffbranche ist – gerade im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und globalem Wettbewerb. Ich erwarte, dass insbesondere drei Themen im Mittelpunkt stehen werden: Erstens die Kreislaufwirtschaft – hier geht es längst nicht mehr nur um symbolische Pilotprojekte, sondern um skalierbare Technologien, mit denen sich Kunststoffkreisläufe wirklich schließen lassen. Das betrifft Sortiertechnologien, Rezyklatqualitäten, neue Werkstoffsysteme – etwa Biokunststoffe oder neue recyclingfähige Materiallösungen – und natürlich auch recyclinggerechtes Design.
Zweitens wird die Digitalisierung der Kunststoffverarbeitung eine zentrale Rolle spielen. Digitale Zwillinge, KI-basierte Prozessüberwachung und smarte Assistenzsysteme sind keine Zukunftsmusik mehr – sie halten zunehmend Einzug in den industriellen Alltag und bieten enorme Potenziale für Effizienz, Qualität und Ressourcenschonung.
Drittens werden wir erleben, wo Kunststoffe unmittelbare Beiträge zur nachhaltigen Transformation unserer Gesellschaft leisten. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass Kunststoffe die Werkstoffe der Energiewende darstellen, dass sie nachhaltige Mobilität vom Auto bis zum Flugzeug ermöglichen, die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Medikamenten und Trinkwasser sicherstellen usw. Auch hier werden wir eine Reihe an Innovationen erleben.
Und natürlich basiert all das, ganz klassisch für die K, auf Innovationen im Bereich der Werkstoff-, Werkzeug- und Prozesstechnologie, insbesondere im Hinblick auf präzisere, robustere und (energie)effizientere Produktionsprozesse – auch mit Blick auf neue Materialien und Funktionsintegration.
Am IKV arbeiten wir in genau diesen Themenfeldern mit Hochdruck – sei es im Bereich der Kreislaufwirtschaft, der KI-basierten Digitalisierung der Prozesse oder den Kunststoffen in der Wasserstoffwirtschaft. Die K 2025 bietet die Plattform, diese Entwicklungen einem internationalen Fachpublikum vorzustellen und intensiv in den Austausch mit globalen Industriepartnern zu treten.
Forschung am IKV: Nachhaltigkeit und Innovation
Welche konkreten Forschungsprojekte verfolgen Sie am IKV im Bereich der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft? Gibt es vielversprechende Ansätze, die kurz vor der industriellen Umsetzung stehen?
Nachhaltigkeit ist für uns kein abstraktes Ziel, sondern eine technologische Gestaltungsaufgabe. Am IKV arbeiten wir an einer ganzen Palette an Projekten, die ganz konkrete Hürden der Kreislaufwirtschaft adressieren – immer mit dem Anspruch, nicht nur Grundlagen zu schaffen, sondern auch industriell übertragbare Lösungen zu entwickeln.
Nachhaltigkeit ist für uns kein abstraktes Ziel, sondern eine technologische Gestaltungsaufgabe
Ein Beispiel ist das Projekt Smellstop, das sich mit der Reduktion störender Gerüche in Post-Consumer-Rezyklaten beschäftigt. Gerade bei Polyethylen aus Haushaltsabfällen ist Geruch ein wesentliches Hindernis für den Rezyklateinsatz in hochwertigen Verpackungsanwendungen. Gemeinsam mit Industriepartnern untersuchen wir hier verfahrenstechnische Maßnahmen wie thermische Vorbehandlung, Dampflagerung und gezielte Entgasung – ergänzt um ein sensorsystembasiertes Monitoring. Ziel ist es, Rezyklate so aufzubereiten, dass sie auch für anspruchsvollere Anwendungen genutzt werden können.
Im Projekt KIOptiPack treiben wir die Digitalisierung entlang der Wertschöpfungskette voran. Mit Methoden der Künstlichen Intelligenz entwickeln wir Werkzeuge, um Kunststoffverpackungen mit Rezyklatanteil effizient und robust herzustellen – trotz schwankender Materialqualität. Das IKV bringt hier seine Expertise in der Digitalisierung, der Compoundierung, Extrusion und im Spritzgießen ein. Hier konnten wir z. B. zeigen, dass das Fließverhalten von Mischungen zuverlässig vorhergesagt und Prozesse so automatisiert angepasst werden können.
Ein weiteres Projekt ist außerdem PlasticBOND, in dem wir Werkstoffeigenschaften von Rezyklaten analysieren und mit ökologischen Bewertungen verknüpfen. Projektziel ist es, den Rezyklateinsatz zu steigern, ohne die Verarbeitbarkeit oder Produktqualität zu gefährden. Wir untersuchen in dieser Hinsicht beispielsweise etwa Alterungsmechanismen, Stippenbildung oder das Verhalten von Rezyklat-Neuware-Mischungen – und haben daraus konkrete Handlungsempfehlungen für Verarbeiter abgeleitet.
Neben diesen Projekten spielt auch das oben erwähnte Technologienetzwerk LOOPCYCLING eine wichtige Rolle: Hier bringen wir Wissenschaft und Industrie an einen Tisch, um ganz praktisch Lösungen für das werkstoffliche Recycling zu erarbeiten – unter anderem durch gemeinsame Workshops, Demonstratoren und den regelmäßigen Austausch zu Anforderungen, Technologien und Best Practices.
Die Reihe ließe sich fortsetzen: Leichtbau in Gummianwendungen, Kunststoffe in Kontakt mit Wasserstoff, Hochleistungsanwendungen im Bereich unbemannter Flugsysteme oder digitale Produktpässe sind nur weitere Beispiele für das Potential der Forschung für den nachhaltigen Einsatz von Kunststoffen
All diese Projekte zeigen: Nachhaltige Kunststoffverarbeitung braucht technologische Tiefe, vernetzte Forschung und die enge Zusammenarbeit mit der Industrie. Daran arbeiten wir – und viele der entwickelten Ansätze sind heute bereits in der industriellen Pilotierung.

Nachwuchs und Image der Branche
CT: Der Kunststoff steht gesellschaftlich oft in der Kritik. Wie gelingt es dem IKV, junge Talente für das Studium der Kunststofftechnik zu begeistern? Und was müsste geschehen, damit der Werkstoff Kunststoff wieder ein besseres Image bekommt?
Hopmann: Kunststoffe sind technisch faszinierend, vielfältig einsetzbar und bieten enormes Innovationspotenzial – gerade im Sinne der Nachhaltigkeit. Deshalb brauchen wir junge Menschen, die sich mit diesem Werkstoff beschäftigen, statt ihn pauschal abzulehnen. Es bringt wenig, Kunststoffe zu verteufeln – sie werden in unserer Gesellschaft auf absehbare Zeit unverzichtbar bleiben: in der Medizintechnik, im Leichtbau, in der Energiewende. Die entscheidende Frage ist also nicht ob, sondern wie wir Kunststoffe verantwortungsvoll gestalten, verarbeiten und recyceln. Und dafür braucht es kluge Köpfe.
Um das erfahrbar zu machen, organisieren wir am IKV zahlreiche Angebote für Studierende und Schülerinnen und Schüler – vom Modellautobau über Laborführungen bis hin zu Netzwerkveranstaltungen mit Unternehmen und aktiven Einblicken in die Forschung. Unser Ziel ist es, das Negativimage zu relativieren – durch Fakten, Erfahrungen und Begeisterung für Technik. Ich sage dann meinen Studierenden immer, man kann sich auf die Straße kleben und Plakate basteln. Aber der Umwelt ist möglicherweise mehr geholfen, wenn man mit einer soliden Ausbildung und naturwissenschaftlich-technischem Sachverstand bessere und nachhaltige Produkte und Prozesse entwickelt. Nur so lassen sich gesellschaftliche Herausforderungen, die wir ja ohne Zweifel haben, auch lösen
Besonders sichtbar wird unser Ansatz in studentischen Projekten wie dem Formula-Student-Team Ecurie Aix oder dem Team Sonnenwagen Aachen, die sich mit ihren Ideen und Projekten im internationalen Wettbewerb behaupten. Diese Teams entwickeln leichte, effiziente Fahrzeuge mit innovativen Kunststoffbauteilen und setzen so konkrete Nachhaltigkeitsimpulse. Wir unterstützen sie mit unserem Know-how, mit Werkstattkapazitäten, Zugang zu unseren Technika und fachlicher Begleitung. So entsteht ein praxisnahes, motivierendes Lernumfeld – und das Bild des Werkstoffs Kunststoff wird differenzierter und zukunftsorientiert wahrgenommen.
Ob ein solch differenziertes Bild in der Breite der Gesellschaft erreichbar ist, kann man bezweifeln. Zu stark scheinen die Stereotypen in den Köpfen verankert und zu stark ist auch die Meinungsbildung durch verschiedene Interessensgruppen. Aber wir leisten unseren Beitrag zur Aufklärung, sachlich, fachlich und immer mit dem Ziel, ein Fundament für eine Meinungsbildung zu legen und nicht die Meinung selber zu steuern. Wir glauben daran, dass sich auch in einer komplexen und unübersichtlichen Welt Wahrheiten durchsetzen, und haben als Forscher ohnehin einen langen Atem. Und ehrlich währt noch immer am längsten.
Bild ganz oben: Im Gespräch mit Prof. Christian Hopmann im Rahmen des Pre-K-Events in Düsseldorf. Foto: Circular Technology