Erema Group-CEO Manfred Hackl erklärt im Exkklusiv-Interview mit Circular Technology, wo er das Kunststoffrecycling heute sieht, welche Fortschritte wichtig waren und warum eine 100%-Recyclingquote noch nicht erreichbar ist

Circular Technology: Das Megathema in der Kunststoffbranche ist im Moment der Einsatz von Post-Consumer-Rezyklaten. Sogar im Bereich Kosmetik und Lebensmittel werden inzwischen PCR eingesetzt. Woher kommt das neue große Interesse an Rezyklaten aus dem Gelben Sack?

Manfred Hackl: Diese gestiegene Nachfrage wird vor allem von neuen gesetzlichen Bestimmungen getrieben. Bis 2025 beziehungsweise 2030 sind bestimmte Quoten für den Mindestanteil an Rezyklaten in PET-Flaschen vorgeschrieben und es gibt Überlegungen, solche Quoten auch für andere Produkte festzulegen. Außerdem beschleunigt der Green Deal der EU mit den darin verankerten Klimazielen den Wandel zur Kreislaufwirtschaft. Natürlich ist die Lage je nach Polymerart unterschiedlich. Bei PET etwa wurde schon sehr viel erreicht – bei den Polyolefinen hingegen sehe ich noch Potenzial. Dabei ist die Technik in den letzten Jahren erheblich fortgeschritten und hat Herausforderungen gemeistert, die als unüberwindlich galten.

Beim PET ist es aber auch besonders einfach, da es leicht zu sammeln ist, meist in Flaschenform verwendet wird, die eine gewisses Gewicht haben, es ist dadurch leichter zu sortieren, und die Behälter enthalten meist Flüssigkeiten, sind also auch nicht so schwierig zu reinigen wie etwa Joghurtbecher. Bei anderen PCR-Materialien ist das Recycling komplexer, aber, wie bereits mit der Kosmetikflasche angesprochen, ist es auch hier möglich, hochwertige Anwendungen aus Rezyklat herzustellen. Vor wenigen Jahren war es unvorstellbar, dass namhafte Kosmetikhersteller für eine Verpackung 100% PCR wählen würden. Ebenfalls bemerkenswert ist eine Folie für Müllsäcke, die komplett aus der DSD 310-Fraktion besteht und nur 16 μ dick ist. Das wäre noch vor 5 Jahren nicht vorstellbar gewesen.

CircTec: Welche Entwicklungen haben solche Fortschritte ermöglicht? Sind die Stoffströme sauberer, die Filtration besser oder die Toleranzen der Verarbeitungsmaschinen größer geworden?

Hackl: Ich sehe die Fortschritte vor allem im Bereich der Technologie. Die Eingangsmaterialien sind in den letzten Jahren eher schlechter geworden. Das ist auch leicht erklärbar, da man sich früher auf die leicht zu recycelnden Stoffe konzentrieren konnte. Heute ist der Anspruch, so viel wie möglich zu recyceln. Der Input wächst und wächst, und mit der steigenden Menge sinkt die Qualität. Wir sehen das auch bei unseren Kunden, die heute Material auf Maschinen von Erema verarbeiten wollen, das vor einiger Zeit verbrannt worden wäre.

Gleichzeitig sind Verarbeiter auch zunehmend bemüht, Produkte aus Rezyklaten herstellen zu können, da die Nachfrage im Moment rasend schnell wächst. In Reaktion darauf werden Prozesse gezielt für den Rezyklateinsatz optimiert, und es wird geschaut, was mit dem verfügbaren Material möglich ist. Diese Entwicklung steht aber noch am Anfang, da ist noch viel Potenzial.

CircTec: Es sind also alle Schritte des Recyclingprozesses wichtig?

Hackl: Richtig. Es kommt auf jeden einzelnen an. Angefangen beim Sammeln und Sortieren über das Waschen, Extrudieren, Filtieren und Homogenisieren bis hin zur Geruchsreduktion muss jede Stufe optimiert werden, um am Ende einen möglichst vielseitig einsetzbaren Werkstoff zu erhalten. Ganz wichtig ist dabei die prozessübergreifende Zusammenarbeit der jeweiligen Spezialisten. Nur so kann am Ende eine optimierte Prozesskette stehen. Diese Kooperation wird in den kommenden Jahren noch intensiviert werden. Ich sehe die Kunststoffindustrie hier auf einem guten Weg, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.

CircTec: Welches Thema beschäftigt Sie neben der bereichsübergreifenden Kooperation zurzeit noch?

Hackl: Die Corona-Pandemie hat viel verändert. Noch im Oktober letzten Jahres zur K 2019 standen alle Zeichen auf Boom. Die Stimmung war blendend, die Kunststoffbranche konnte sich über eine Vielzahl von Aufträgen freuen. Dann kam der Frühling 2020, und die Bereitschaft zu investieren schwand enorm. Über den Sommer hat sich die Lage wieder etwas verbessert, aber Unsicherheit ist immer schlecht in der Geschäftswelt. Die Zuversicht wächst zwar angesichts der positiven Nachrichten über den Stand der Impfstoffentwicklung, dennoch wird es wohl noch bis in den Sommer 2021 dauern, wenn umfassend Impfungen verfügbar sind, bis wieder eine Normalisierung der Gesamtsituation zu erwarten ist. Solange Dienstreisen eingeschränkt sind und Kundenbesuche, Messen und Anlagenvorführungen nicht oder nur begrenzt durchgeführt werden können bleibt die Lage schwierig. Dann aber wird sich die Situation in Bezug auf Investitionen deutlich verbessern.

CircTec: Mit der Vacurema-Technologie von Erema lässt sich PET sogar lebensmittelecht recyceln. Ist eine solche Reinheit auch für andere Polymerarten, wie PE-HD erreichbar?

Die Vacurema-Technologie ermöglicht die Etablierung eines Bottle-to-Bottel Recycling von PET-Flaschen in kompromisslose lebensmitteltauglicher Qualität. Foto: Erema

Hackl: Wir haben vor 20 Jahren mit der Vacurema-Technologie den Durchbruch geschafft und der Branche das Bottle-to-Botte-Recycling in der Breite ermöglicht. Zum Teil ist so etwas auch schon in anderen Bereichen gelungen. Hier könnte man das Beispiel PE-HD-Milchflaschen im Vereinigten Königreich nennen, wo aus Milchflaschen wieder Milchflaschen werden. Das ist ein Bottle-to-Bottle-Recycling. Hinzu kommt die bereits erwähnte Kosmetikflasche, die natürlich hohe Anforderungen an Reinheit und Sicherheit erfüllen muss. Wir können gespannt sein, was in den kommenden Jahren hier noch kommt. Voraussetzung für den Rezyklateinsatz in sensiblen Anwendungen wird aber die Nachvollziehbarkeit der Stoffströme bleiben. Man muss wissen, wo ein Material zuvor im Einsatz war. Hier können Sortiertechnologie, Marker oder eine Kombination aus beidem weiterhelfen.

CircTec: Steht beim PE-HD die Bandbreite an Additiven und Farben, die im Gegensatz zu PET zugesetzt werden. geschlossenen Recycling-Kreisläufen im Weg?

Hackl: Ja, das stimmt. Die Herausforderung ist um ein Vielfaches größer. Die Varianz der Typen ist schon viel höher. Die Hersteller von PET-Flaschen haben sich bereits vor 20 Jahren auf bestimmte Standards geeinigt. Bei den Polyolefinen sind solche Bemühungen seit ungefähr zwei Jahren auch im Gange. Erste positive Ansätze, wie Mono-Layer-Pouches, die so leistungsfähig sind wie Multi-Layer-Pouches, sind auch schon sichtbar. Das Design-for-Recycling muss weiter vorangetrieben werden. Es tut sich auch viel im Bereich der Beseitigung von Bedruckungen (De-Inking). Zur nächsten großen Messe wird es von Erema sicherlich Neuheiten in diesem Bereich geben.

CircTec: Wie sehen Sie das chemische Recycling?

Hackl: Es laufen im Moment weit über 100 Projekte weltweit auf diesem Gebiet. Ich bin überzeugt, dass es in 5 bis 10 Jahren neben dem mechanischen auch ein praktikables chemisches Recycling geben wird. Sinnvoll und wirtschaftlich wird es jedoch immer nur in den Bereichen sein, wo es kein mechanisches Verfahren gibt, weil chemisches Recycling immer aufwendiger ist. Es erfordert mehr Energie und auch größere Anlagen. Im PET-Bereich etwa kann meiner Meinung nach chemisches Recycling kaum mehr weiterhelfen, weil hier mechanische Verfahren marktfähige und lebensmitteltaugliche Rezyklat-Qualitäten liefern. Andere Materialströme hingegen, bei denen mechanische Verfahren nicht befriedigend funktionieren, können durchaus zukünftig chemisch recycelt werden. Allerdings glaube ich nicht, dass sich solche Verfahren kurzfristig etablieren werden.

CircTec: Sie sehen es also, wenn überhaupt, als Alternative zur thermischen Verwertung?

Hackl: Genau.

CircTec: Die Öffentlichkeit erwartet eine dauerhafte Kreislaufführung mit mechanischen Verfahren. Ist das aus Expertensicht realistisch?

Hackl: Grundsätzlich ja und wird ja schon im PET Bereich zb gezeigt. Aber es muss uns bewusst sein, dass es, wie bei anderen Materialien (Papier, Glas, etc) auch, Verluste gibt und nicht 100 Prozent zurückgewonnen und wieder eingesetzt werden können. Wenn wir es durch die Zusammenarbeit aller Akteure in der Branche schaffen, die EU Ziele plus die Recyclingziele der großen Markenhersteller zu erreichen – alleine deren Selbstverpflichtung zum Recycling wird die Produktion von 10 Mio. Tonnen Regranulat zur Folge haben – ist das ein Riesenerfolg. Mit entsprechender Additivierung, beispielsweise durch unsere COREMA-Technologie kann auch die Polymerqualität wieder gesteigert werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir von einer Recyclingquote von 100 % noch so weit entfernt sind, dass eine solche Diskussion eindeutig verfrüht geführt wird. Nur zur Einordnung:  Momentan werden in Europa 29,1 Mio to Post Consumer Kunststoffabfälle gesammelt und davon wiederum 9,4 Mio. t für das mechanische Recycling aussortiert. Davon werden 7,5 Mio t in Europa recycelt, also zu 5,2 Mio. t Rezyklat verarbeitet. Rund 4 Mio. t dieses Outputs werden in Europa wieder verarbeitet. Aus den Recyclingvorgaben der EU entsteht der Bedarf, künftig jährlich 10 Mio. t Rezyklat in Europa einzusetzen. Das ist mehr als eine Verdoppelung und es bedarf noch großer Anstrengung die dafür nötige Sammel-, Sortier- und Recyclinginfrastruktur aufzubauen und zugleich neue Absatzmärkte für die recycelten Kunststoffe zu erschließen.

CircTec: Eine Quote von 100 % im Kunststoffrecycling anzustreben muss also in jedem Fall scheitern?

Hackl: Richtig. Die 100-%-Marke kann nie erreicht werden. Das gibt es übrigens weder bei Papier oder Metall. Bei Glas ist die Rücklaufquote sehr hoch, aber die werkstoffliche Ausgangslage ist hier auch eine komplett andere. Beim Kunststoff werden Erwartungen geschürt, die enttäuscht werden müssen. Es ist einfach nicht möglich, sie zu erfüllen. Je nach Polymerart und Anwendung kann ein hoher Anteil dauerhaft in einem Kreislauf geführt werden. Bei PET-Flaschen sind seit Jahren Quoten von 70% oder höher möglich. Bei anderen Polymerarten hingegen sind wir von solchen Werten noch sehr weit entfernt, denn hier sind schon die Sammelquoten niedriger. Wo heute nur 4% werkstoffliches Recycling erreicht werden, sollten die mittelfristen Ziele eher bei 20% liegen und dann stufenweise höher gesteckt werden.

CircTec: Die Mengen im Kunststoffrecycling steigen ständig an. Auch die Recycler werden zu immer größeren Unternehmen. Hat das Auswirkungen auf die Maschinen? Werden diese ebenfalls größer?

Hackl: Die Maximalgröße der Maschinen nimmt tatsächlich kontinuierlich zu. Vor drei Jahren war die größte Extrusionslinie von Erema auf einen Durchsatz von 15.000 t pro Jahr ausgelegt. Diese Anlage haben wir etwa ein- bis zweimal im Jahr verkauft. Derzeit liefern wir diese Konfiguration monatlich aus. Außerdem haben wir auch bereits begonnen, Anlagen mit einer Kapazität von 30.000 Jahrestonnen in einer Linie auszuliefern. Das entspricht 4 Tonnen in der Stunde. Diese Entwicklung wird weiter gehen, in naher Zukunft werden wir noch größere Anlagen sehen.

CircTec: Wo sind die Grenzen? Wird es einmal eine 100.000-jato-Anlage geben?

Hackl: Irgendwann bringt eine noch größere Linie keinen Effizienzvorteil mehr. Der Prozess beinhaltet ja auch Logistik. und das Ausgangsmaterial von überallher an einen zentralen Standort zu bringen, macht ab einer gewissen Menge keinen Sinn mehr. Außerdem müssen die Anlagen auch beschickt werden. Die technischen Komponenten lassen sich natürlich immer weiter upscalen, das passiert auch. Es gibt ja bereits Standorte, wo 100.000 jato Input verarbeitet werden, aber eben mit mehr als einer Extrusionslinie. Früher waren für diese Menge 10 Anlagen nötig, heute 5.

CircTec: Mit welchen Anforderungen treten Ihre Kunden derzeit an Sie heran, und wie beeinflussen diese Ihre Produktentwicklung?

Hackl: Die Kunden suchen Wege, um aus einem bestimmten Ausgangsmaterial eine bestimmte Anwendung zu realisieren. Früher ging es darum, ein Regranulat herzustellen, und dann wurde überlegt, wo man dieses einsetzen könnte. Heute diskutieren wir von Anfang an das Endprodukt. So bauen wir unsere verfahrenstechnische Kompetenz immer weiter aus, um unseren Kunden neue Lösungen aufzeigen zu können. Das zweite große Thema ist Prozessstabilität durch Digitalisierung und mit Inline-Qualitätsmessungen. Je größer die Anlagen werden, umso engmaschiger muss die Qualität im Blick behalten werden. Außerdem kommt das Thema Geruchsreduzierung immer mehr in den Fokus.

CircTec: Herr Hackl wir danken Ihnen für das Gespräch.

Bild ganz oben: Manfred Hackl ist CEO von Erema, der weltweiten Nummer eins in der Entwicklung und Erzeugung von Kunststoffrecyclingmaschinen und Systemkomponenten.

Von fil