Das Hochwasser in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Juli 2021 war eine der größten Naturkatastrophen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie Wissenschaft einen nachhaltigen und klimaresilienten Wiederaufbau nach einer solchen Flutkatastrophe unterstützen kann, zeigt der von der Universität Stuttgart in enger Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen University koordinierte Forschungsverbund KAHR. In den betroffenen Regionen hat KAHR den Neu- und Wiederaufbauprozess begleitet und mitgestaltet.

Gewässerbegehung der Ahr durch wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der RWTH Aachen University. Foto: Jörn Birkmann, 2022

Was kann Wissenschaft zum Gelingen des Neu- und Wiederaufbaus nach einer Flutkatastrophe beitragen? Hierum geht es am 26. Juni 2024 beim dritten Wissenschaft-Praxis-Dialog des Forschungsverbundes „Klima-Anpassung, Hochwasser, Resilienz (KAHR)“ für den Wiederaufbau der flutbetroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz. „Das Ahrtal war und ist von der Flutkatastrophe im Juli 2021 besonders betroffen“, erklärt Verbundkoordinator Prof. Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) der Universität Stuttgart. 135 Menschen verloren im Ahrtal ihr Leben. Auf rund 40 Kilometern Länge zerstörte die Flut tausende Gebäude sowie eine Vielzahl an Straßen, Brücken und weitere Infrastrukturen. Die Überflutungen führten in Deutschland zu einem finanziellen Schaden von schätzungsweise 40 Milliarden Euro. „Der Neu- und Wiederaufbau muss ein Mehr an Resilienz schaffen, damit wir für zukünftige Ereignisse besser gerüstet sind“, betont Birkmann.

Forschung mit den Akteur*innen vor Ort

Seit drei Jahren begleitet der überregionale und interdisziplinäre Forschungsverbund erfolgreich den Wiederaufbauprozess. Themen sind beispielsweise die Erforschung von Schadensmustern, die Verlagerung besonders schutzwürdiger Infrastrukturen wie Schulen oder Pflegeheime, Vorsorgemaßnahmen für besonders verwundbare Bevölkerungsgruppen, die hochwasserresiliente Gestaltung von Brücken oder Sportstätten, die Schaffung von Retentionsflächen, eine hochwasserresiliente Stromversorgung, verbesserte Vorhersagemodelle und eine risikobasierte Raumplanung. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Einbeziehung, Beratung und Vernetzung der Akteur*innen vor Ort. Haushaltsbefragungen und Expert*innen-Interviews zeigen unter anderem, dass der großen Mehrheit der Befragten vor der Katastrophe nicht klar war, dass sie in einem überflutungsgefährdeten Gebiet wohnten. Zudem hatten zum Zeitpunkt der Befragung im Sommer 2022 erst etwa die Hälfte der Befragten Vorsorgemaßnahmen umgesetzt. „Die Information der Bevölkerung zu Risiken und Vorsorgemöglichkeiten ist also essentiell“, sagt Birkmann.

Praxisrelevante Empfehlungen für den Wiederaufbau

Ein Teil der im Zuge des Projektes entstandenen „10 Empfehlungen für einen zukunftsgerichteten und klimaresilienten Wiederaufbau“ sind inzwischen in der Praxis angekommen und unter anderem in die Begründung für höhere Schutzstandards und höhere Finanzierungshilfen im Wiederaufbau eingeflossen. „Das Ahrtal befindet sich an einem entscheidenden Wendepunkt in der klimaresilienten Hochwasservorsorge. KAHR konnte hier über grundlegende Erkenntnisse viele Impulse, beispielsweise für die zukünftige Gestaltung von Brücken und die technische Hochwasservorsorge, beisteuern“, resümiert Prof. Holger Schüttrumpf, Ko-Sprecher des Verbunds und Direktor des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW) der RWTH Aachen University. Darüber hinaus finden seit Projektbeginn fast wöchentlich Beratungstermine für die Bevölkerung zu privaten Hochwasserschutzmaßnahmen statt. KAHR hat zudem Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes geschult und Erzählabende für Betroffene und Helfende veranstaltet.

Wichtige Forschungsfragen und Handlungsfelder offen

„Wir haben in den letzten drei Jahren im Verbund und gemeinsam mit den betroffenen Menschen viel erreicht. Dennoch bleiben noch wichtige Fragen und Handlungsfelder offen, die weitere wissenschaftliche Forschung erfordern“, sagt Birkmann. So sollen Schutzkonzepte in Zukunft stärker als bisher die jeweiligen Schutzwürdigkeiten der potenziell betroffenen Siedlungsbereiche thematisieren und klassifizieren. Handlungsbedarf besteht auch bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung der Klimaresilienz im Wiederaufbau. Die Umsetzung von Hochwasserrückhaltebecken bedarf weiterer wissenschaftlicher Forschung, auch bezogen auf die Umsetzbarkeit und die Auswirkungen auf Umwelt und Landschaft. Des Weiteren gibt es konkrete Umbauplanungen für einzelne Quartiere oder Nutzungen, die bisher aber noch nicht umgesetzt wurden. „Die Begleitung dieser Transformationsprozesse durch die Wissenschaft wäre aus unserer Sicht wichtig, um nicht nur die Effektivität von Maßnahmen, sondern auch deren Akzeptanz näher zu beleuchten“, betont Birkmann abschließend.

Bild ganz oben: Bestandsaufnahme im Ahrtal durch Professor Jörn Birkmann. Foto: Burggraf, 2023

Von fil