Marine Nahrungsnetze und herkömmliche, vom Menschen entwickelte Systeme zur Behandlung biologisch abbaubarer Abfälle haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Dennoch haben Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel beide Systeme miteinander verglichen. Ihre Erkenntnis: Eine Orientierung an Stoffkreisläufen in natürlichen Gemeinschaften kann helfen, die lineare Prozesskette von der Produktion von Nahrungsmitteln für den menschlichen Bedarf, des Konsums und der Behandlung von Speiseresten zu verbessern. Die Ergebnisse dieses Modellierungsansatzes flossen in das von der Europäischen Union finanzierte Projekt „A Decentralised management Scheme for Innovative Valorisation of Urban Biowaste“ (DECISIVE) ein.

Städte importieren den Großteil der von ihren Einwohnern konsumierten Lebensmittel unter hohem Energieaufwand oft über Hunderte von Kilometern. Außerdem exportieren sie biologisch abbaubare Abfälle aus deren Entstehungsgebieten, um die Behandlung und Verwertung zu erleichtern. Diese lineare Struktur der traditionellen Abfallbewirtschaftung bietet zwar einige Vorteile. Sie erfordert aber auch Investitionen in technische Lösungen sowie ausgedehnte Sammel- und Transportsysteme, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Auswirkungen wie Lärm, Verkehr und Kraftstoffverbrauch haben.

Im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Projekts „A Decentralised management Scheme for Innovative Valorisation of Urban Biowaste“ („Ein dezentrales Bewirtschaftungssystem für die innovative Verwertung von städtischem Bioabfall“; DECISIVE) untersuchten Akteur aus Forschung, Öffentlichkeit und Wirtschaft die Möglichkeit, diese lineare und zentralisierte Bioabfallbewirtschaftung in Richtung einer dezentralisierten, zirkulären und lokalen Bewirtschaftung zu verändern. Ihr neues Modell stützt sich auf die städtische Landwirtschaft, um den Kreislauf der organischen Stoffe zu schließen. An Demonstrationsstandorten in Lyon (Frankreich) und Dolina (Italien) wurden die vorgeschlagenen Ansätze und neue Technologien getestet. Ein ebenfalls entwickeltes Instrument zur Entscheidungsfindung hilft, den idealen Standort und die ideale Größe des Sammel- und Wiederverwendungsnetzes zu ermitteln.

Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel steuerten zum Projekt Methoden bei, die aus der Modellierung mariner Nahrungsnetze stammen. „Es gibt tatsächlich Analogien zwischen dem Kohlenstoffkreislauf in natürlichen Gemeinschaften und dem Austausch von Biomasse in einem technischen System wie dem der Bioabfallerzeugung und -verarbeitung in unserem Alltag“, erklärt Dr. Marco Scotti, Meeresökologe am GEOMAR. „Im Austausch von Energie oder Materialien entstehen komplexe Systeme, die den Regeln der Thermodynamik gehorchen. Netzwerke sind eine universelle Sprache, um deren Struktur und Funktionsweise zu beschreiben. In der Vergangenheit haben wir bereits Ähnlichkeiten zwischen menschlichen Systemen und Nahrungsnetzen genutzt, um das europäische Erdgaspipelinenetz zu modellieren.“

Die vom GEOMAR vorgeschlagenen Algorithmen waren in der Lage, das Ausmaß des Recyclings sowie die Stabilität und Belastbarkeit von Biomasse-Flussnetzen zu quantifizieren. Darauf aufbauend wurden geeignete Modelle entwickelt, um einerseits Nahrungsnetze und andererseits Netzwerke für den Energie- oder Stoffaustausch in menschlichen Siedlungen darzustellen. Der Vergleich ergab deutliche Unterschiede: „Der Stoffkreislauf in den Nahrungsnetzen ist viel höher als in menschlichen Systemen. Menschliche Systeme ähneln linearen Ketten, die Biomasse nicht sehr effizient verarbeiten und nicht wirklich wiederverwenden“, sagt Dr. Scotti. Nahrungsnetze sind aufgrund ihres Energiekreislaufs stabil: Die Arten ernähren sich von verschiedenen Beutetieren und ändern ihre Ernährungsgewohnheiten, wenn bestimmte Ressourcen knapp werden. Die lineare Struktur herkömmlicher Abfallbewirtschaftungssysteme funktioniert unter normalen Bedingungen gut, droht aber zusammenzubrechen, wenn einige ihrer Elemente ausfallen. „Obwohl der Vergleich zwischen einem natürlichen und einem vom Menschen geschaffenen System überraschend erscheinen mag, können wir tatsächlich viel daraus lernen. Natürliche Nahrungsnetze können uns inspirieren, wenn es darum geht, unsere Bioabfallbewirtschaftungssysteme auf eine Kreislaufwirtschaft umzustellen und sie nachhaltiger zu gestalten.“

Bild oben: Anbau von Salat mit Hilfe von Bioprodukten auf Basis von Nachrungsmittelresten. Foto: Marco Scotti, GEOMAR

Von fil