Prof. Dr.-Ing. Holger Ruckdäschel ist seit Jahresbeginn Geschäftsführer der Neue Materialien Bayreuth (NMB). Gleichzeitig leitet er den Lehrstuhl für Polymere Werkstoffe an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Bayreuth. Bei der NMB befassen sich 70 Mitarbeitende damit, die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Werkstoffe und Verfahren in die industrielle Praxis zu überführen. Im Interview mit Circular Technology erklärt Prof. Ruckdäschel, wie seine Forschung zu einer ressourcen- und umweltschonenderen Industrie beiträgt.

CT: Die Industrie der Zukunft wird eine sein, die kaum fossile Energie verbraucht und praktisch keine schädlichen Emissionen verursacht. Wie tragen Sie bei der NMB dazu bei?

HR: Die Energiewende bedeutet, dass wir wegkommen von der Nutzung fossiler Energieträger. Natürlich müssen im erster Schritt erst einmal alle Potenziale einer Energieeinsparung genutzt werden. Wir brauchen daher Verfahren, die mit geringerem Energieaufwand dasselbe Resultat liefern, wie herkömmliche Prozesse. An der NMB laufen daher derzeit mehrere Forschungsprojekte, die genau solche Prozesse zum Ziel haben. Ein Beispiel hierfür ist unser Projekt im Bereich der Herstellung technischer Bauteile aus Partikelschäumen. Heute erfolgt das Vorschäumen und die Verschweißung der Schaumpartikel bisher meist mittels Dampf. Das ist extrem energieaufwendig. Wir untersuchen nun, ob dieser Prozess auch mit Infrarotstrahlung oder elektromagnetischen Wellen funktionieren.

An meinem Lehrstuhl an der Universität Bayreuth läuft gerade ein Projekt im Bereich Wasserstoff. Die Speicherung dieses zweifellos in bestimmten Anwendungen sinnvoll einsetzbaren Energieträgers ist für mobile Anwendungen essenziell. Der Wasserstoff muss in Fahrzeugen bzw. Flugzeugen unter sehr hohem Druck und / oder sehr niedrigen Temperaturen sicher gespeichert werden, was hohe Anforderungen an die eingesetzten Tanks stellt und neuartige Tanks erfordert. Daher befassen wir uns mit der Herstellung entsprechender Wasserstofftanks. Wir haben bei der Materialentwicklung von kohlenstofffaserverstärkten Kunststoffen begonnen und mit Partnern dazu passende Fertigungsverfahren entwickelt, die den erforderlichen Anwendungsbedingungen – etwa bei Temperaturen von unter -200 °C – sicher standhalten.

Kreislauffähige Lösungen gesucht

CT: Schafft man mit faserverstärkten Verbundwerkstoffen nicht gleich das nächste Problem? Diese gelten doch als sehr schwierig im Recycling?

HR: Das stimmt. Am Lehrstuhl befassen wir uns damit, Matrixsysteme so zu gestalten, dass sie nach Gebrauch relativ leicht wieder aufgetrennt werden können. Man kann sich das Prinzip wie einen Reißverschluss vorstellen, der während der Nutzungsphase das Material stabil zusammenhält und sich zum Recycling dann öffnet und die Fasern wieder freigibt. Wir werden solche Systeme in vielerlei Anwendungen sehen. Die Windenergie beispielsweise benötigt dringend Lösungen, wie die ausgedienten faserverstärkten Rotorblätter optimal recycelt werden können.

CT: Wir brauchen also kreislauffähige Lösungen?!.

HR: Ganz genau, und zwar im gesamten Kunststoff- und Metallbereich. Dafür sind wir an der NMB materialübergreifend besonders stark aufgestellt. Seit vergangenem Jahr läuft das Projekt GePart, in dem wir uns intensiv mit dem Lebenszyklus von Partikelschäumen beschäftigen. Dazu wird der Lebenszyklus von EPP-Partikelschäumen – von der Herstellung bis zur Wiederverwertung – hinsichtlich Optimierungspotenzialen analysiert. So wollen wir bei der Bauteilherstellung möglichst wenig Energie aufwenden und am Ende einen möglichst hohen Anteil des gebrauchten Bauteils stofflich recyclen und in die Anwendung zurückzuführen. Wir kennen das heute ja bereits schon bei den PET-Flaschen.

Logo des Projektes GePart. Grafik: Projekt GePart

 

CT: Ist in dem Prozess auch die Kompaktierung der gesammelten Schaumstoffe bedacht worden? Aufgrund ihres großen Volumens sind diese ja oft kaum wirtschaftlich zu sammeln?

HR: Dieser Bereich ist zwar jenseits unserer eigenen Technologieentwicklung, aber natürlich ist eine Agglomeration der gesammelten Teile sehr wichtig. Dazu bedarf es eines logistischen Netzwerkes, das spezialisierte Recyclingfirmen bilden könnten. Diese könnten dann das Material lokal sammeln und kompaktieren.

CT: Haben die Unternehmen daran denn Interesse?

HR: Es passiert sehr viel in diesem Bereich. Allein im weiteren Umkreis von Bayreuth gibt es eine überraschend hohe Zahl an Unternehmen, die sich dem Recycling schwieriger Stoffströme widmen, etwa beim Recycling von verschmutzten Folien, Stoßfängern oder Vliesmaterial. Gerade die  enorme Nachfrage nach Rezyklaten und die stark gestiegene Rohstoffpreise machen das Reycling auch wirtschaftlich interessant.

CT: Mit welchen weiteren Materialien befassen Sie sich bei der NMB neben EPP?

HR: Wir forschen etwa am Recycling von EPS und untersuchen in einem aktuellen Projekt, wie sich die unterschiedlichen möglichen Recyclingquoten auf die Qualität des Rezyklats auswirken. Gleichzeitig betrachten wir auch den jeweiligen CO2-Fußabdruck. Unser Vorteil liegt darin, dass wir einerseits Mitarbeiter haben, die für die Erstellung von Lebenszyklusanalysen qualifiziert sind, und gleichzeitig über Datenbanken und Softwarelösungen für die Bewertung verfügen. Weiterhin erforschen wir das stoffliche Recycling von Hochleistungskunststoffe und sind intensiv im Bereich metallischer Werkstoffe engagiert.

CT: Können Sie auch Zertifikate ausstellen, etwa konform zu ISO 14001?

HR: Nein, wir konzentrieren uns auf eine fundierte Analyse und geben unsere Erkenntnisse dann an eine entsprechende Stellen weiter, die dann die Zertifizierung vornehmen.

CT: Worum geht es im Moment bei den Metallen?

HR: Wir erforschen, wie man Metalle im Sinterverfahren in geschlossenen Kreisläufen führen kann. Ziel ist es, das nicht genutzte Pulver im Kreis zu halten und somit den Materialverlust so gering wie möglich zu halten.

NMB-Prozesskette zur nachhaltigen Entwicklung von Metallpulver für die Additive Fertigung. Grafik: NMB

 

CT: Spielen die Additiven Verfahren eine große Rolle an Ihrer Forschungseinrichtung?

HR: Die Additive Fertigung ist für uns sehr wichtig, sowohl bei Kunststoffen, als auch im Metallbereich. Wir haben erst kürzlich in neue Verfahren investiert, um hier noch flexibler forschen zu können. Im Kunststoffbereich verfügen wir beispielsweise über Anlagen für das Lasersintern, den Großformatdruck und den Filamentdruck. Außerdem arbeiten wir mit einem ARBURG Freeformer und verwenden das hp-Verfahren Multi Jet Fusion. Am Lehrstuhl verfügen wir zudem über die UV-härtenden Systeme, wie das Direct Light Processing Verfahren. Außerdem können wir hier auch eigene Filamente, etwa aus Rezyklaten oder Biopolymeren, für Versuche an der NMB herstellen. Dies umfasst PLA, Celluloseacetate und viele andere biobasierte oder bioabbaubare Polymere.

Bei den Metallen verfügen wir über eine moderne Gerätetechnik unter anderem zum Diffusionsschweißen, Laserauftragsschweißen und Sintern mit LSM.

CT: Gibt es etwas, das Sie im Moment an der Diskussion über Kunststoffe stört?

HR: Daran stört mich relativ viel, weil man einen Werkstoff pauschal in eine Ecke stellt, ohne eine analytische und faktenbasierte Diskussion geführt zu haben. Man darf nicht vergessen, dass Kunststoff in den hundert Jahren seit seiner Entdeckung stark zum technologischen Fortschritt beigetragen hat. Ohne Kunststoffe gäbe es viele alltägliche Dinge gar nicht, wie zum Beispiel die oft kritisierten Lebensmittelverpackungen. Wenn Waren nicht verderben, weil sie in Kunststoffverpackungen länger haltbar sind, dann ist das ein Vorteil für die Umwelt. Die Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung ist schließlich eines der 12 UN-Sustainability Goals.

Auch die während der Pandemie lebenswichtigen Gesichtsmasken gäbe es nicht ohne Polypropylen, also Kunststoff. Kunststoff schützt also auch unsere Gesundheit. Weiterhin kann man aus Kunststoff hocheffiziente und dabei relativ kostengünstige Dämmmaterialien herstellen, die Heizenergie sparen und so das Klima schonen. Wir haben auch das Thema Wasserstofftanks bereits erwähnt. Diese sind aus Metall nicht so leichtgewichtig und gleichzeitig stabil herstellbar, wie aus CFK. Und auch bei der Erneuerbaren Energieerzeugung geht nichts ohne Kunststoffe – sei es für die Rotoren von Windrädern oder für Photovoltaikmodule. Weiter geht es mit dem Leichtbau im Transportwesen, der ebenfalls Ressourcen schont und damit Emissionen verringert. Eine Welt ohne Kunststoffe würde zu technologischen Rückschritten führen.

CT: Was muss anders laufen im Kunststoffrecycling?

HR: Es muss stärker darauf geachtet werden, die Stoffkreisläufe zu schließen und dabei den Kunststoff nicht als Abfall zu betrachten, sondern als Wertstoff zu behandeln. Es muss mehr darüber nachgedacht werden, was mit Kunststoffprodukten am Ende ihres Lebenszyklus geschieht und wie es gelingt, sie sortenrein zu sammeln. Dann können aus den entstehenden Rezyklaten wieder hochwertige Produkte gefertigt werden. Die chemische Industrie erzeugt aus wenigen Ausgangsprodukten einige Kunststoffe. Aus diesen werden viele Kunststoffcompounds, aus denen wiederum sehr viele Anwendungen. Eine zentrale Aufgaben wird es sein, dies alles wieder zusammenzubringen und diese verästelten Strukturen künftig gezielt weniger komplex zu gestalten.

CT: Es gibt ja neben dem stofflichen Recycling noch andere Verfahren.

HR: Beim stofflich-mechanischem Recycling werden thermoplastische Polymere recompoundiert, indem man sie aufschmilzt und mit Additiven wieder neu granuliert. Das Material kann auch in einem komplexeren Verfahren depolymerisiert werden, um zurück zu den Monomeren, den Bausteinen, zu kommen. Oder man geht den weiten Weg über das chemische Recycling, also die Pyrolyse, und erhält wieder Ausgangsstoffe für die chemische Industrie und damit auch für Kunststoffe.

CT: Welche Technologie macht am meisten Sinn?

HR: Das kommt auf den Zusammenhang an: Der kürzeste Weg ist immer das mechanische Recycling. Das funktioniert aber nicht für jedes Material. Das chemische Recycling ist technisch und im Energieverbrauch erheblich aufwendiger, funktioniert aber für nahezu jedes Material. Auch Solvolyse und Hydrolyse können unter bestimmten Umständen nachhaltig sein. Der Einzelfall muss also jeweils ganzheitlich betrachtet werden. Die hohen Zielquoten, die für Rezyklate innerhalb recht kurzer Zeit erreicht werden sollen, werden ohne den Einsatz von chemischen Recyclingverfahren nicht erreichbar sein. Wir werden also alle Verfahren dort brauchen, wo sie jeweils Sinn machen.

CT: Recyceln ist aber in jedem Fall besser als verbrennen, oder?

HR: Genau. Wir binden ja das Rohöl ja nur in Form von Kunststoffen für eine gewisse Zeit und führen es dann in den Prozess zurück.

Zertifizierungen benötigt

CT: Wie kann sichergestellt werden, dass jeweils das beste Verfahren zum Einsatz kommt?

HR: Man wird die Regularien sehr genau definieren müssen, damit nachvollziehbar bleibt, ob ein Produkt aus dem Recycling kommt, oder nicht. Ich erwarte, dass hier entsprechende Zertifizierungen entwickelt werden müssen.

CT: Müssen wir auch über ein recyclinggerechtes Design nachdenken?

HR: Das ist auch ein Punkt, an dem wir bei der NMB ansetzen. Wenn man sich bereits bei der Gestaltung eines Produkts überlegt, was man am Ende des Lebenszyklus daraus herstellen könnte, wird das Recycling erleichtert. Besonders nützlich ist uns hier die Digitalisierung, mit deren Hilfe Prozessdaten in situ erhoben, Qualitätsvorhersagen getroffen und Energieverbräuche abgeschätzt werden können. Methoden wie das maschinellen Lernen ermöglichen so, dass mit möglichst wenig Energie ein qualitativ möglichst hochwertiges Produkt entstehen kann. Das ist ein Thema, in dem wir auch in den kommenden Monaten sehr aktiv werden.

Beeindruckende Entwicklungen

CT: Zum Abschluss noch: Welche technologische Entwicklung hat Sie als Wissenschaftler in jüngerer Zeit am Meisten beeindruckt?

HR: Mir fallen hierzu spontan drei Beispiele ein: Zunächst sind dies die Impfstoffentwicklung auf Basis der mRNA und auch die dazugehörigen Zulassungsverfahren in unglaublich kurzer Zeit. Das zweite sind die Fortschritte bei der Kernfusion. Hier beeindruckt mich die hohe Leistung von 15 MW, die kürzlich erzeugt wurde, und zum anderen, dass es gelungen ist, ein Plasma über mehrere Sekunden stabil zu halten. Drittens die Revolution des Internets, das Metaversum. Die virtuelle und die reale Welt beginnen zu verschmelzen. Wir standen mit dem IIOT, dem Industrial Internet Of Things, bisher auf einer Zwischenstufe, in der Dinge unseres Lebens und damit auch Anlagen abgebildet werden. Ich glaube, dass die weitere Integration in virtuelle Realitäten ganz neue Möglichkeiten eröffnen wird. Wir könnten beispielsweise dieses Interview nicht nur per Videokonferenz führen, sondern Sie wären virtuell hier in Bayreuth, wir könnten Sie in der holographischen NMB-Welt herumführen und Ihnen unsere Anlagentechnik direkt zeigen. Bislang sehen wir hier erst die ersten Ausläufer einer Veränderung, die sehr umfassend sein wird.

CT: Ist das nicht alles nur Spielerei?

HR: Viele dieser Entwicklungen kommen tatsächlich aus der Gaming-Industrie. Aber diese Methoden werden in der gesamten fertigenden Industrie Einzug halten. Denn es ist tatsächlich ein Vorteil, wenn erheblich mehr Information übermittelt werden kann. Ein Avatar sieht seine Umgebung, als wäre er vor Ort. Die Information, die wir jetzt noch über den Bildschirm teilen, etwa in Form einer Präsentation, kann dann viel effizienter transportiert werden, wenn wir beispielsweise einfach gemeinsam zu einer Anlage gehen und ich dort ein neues Verfahren erkläre. Die Digitalisierung oder die digitale Transformation ist ja – vorsichtig formuliert – noch nicht abgeschlossen. Bei der NMB wollen wir in dieser neuen Umgebung Fuß fassen und deren Möglichkeiten nutzen, um nachhaltigere und bessere Materialien zu schaffen. Wir haben hier schon einige Projekte in diesem Bereich gestartet.

CT: Darüber unterhalten wir uns dann hoffentlich bald in einem weiteren Gespräch.

Von fil