Die Besteuerung der Kapitalerträge reicher Menschen kann Ungleichheit verringern und gleichzeitig den allgemeinen Wohlstand erhalten – allerdings nur unter zwei Bedingungen. Erstens müssen die Steuereinnahmen in die öffentliche Infrastruktur wie Schulen, öffentliche Verkehrsmittel oder nachhaltige Energieversorgung investiert werden. Zweitens muss es möglich sein, Maschinen einigermaßen gut durch Arbeit zu ersetzen. Dies ist das Ergebnis einer mathematischen Modellierung eines Teams von Ökonomen, zu dem auch der US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz gehört, und das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geleitet wurde.
„Es wird viel darüber geredet, große persönliche Vermögen zu besteuern, um Ungleichheit zu verringern. Viele politische Entscheiderinnen und Entscheider bleiben aber skeptisch, denn sie vermuten, dass dies der Wirtschaft schaden könnte“, sagt der Hauptautor Linus Mattauch vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Institute for New Economic Thinking der Universität Oxford und der Technischen Universität Berlin. „In der Tat dient in Maschinen investiertes Kapital der wirtschaftlichen Produktivität und damit dem allgemeinen Wohlstand. Außerdem könnten die Reichen die Steuerlast auf die Armen abwälzen, indem sie die Löhne senken. Daher könnte die Besteuerung von Kapital dem Wohlstand der Arbeitnehmer schaden. Wir haben daher eine Vielzahl von Annahmen getestet, aber unser theoretisches Ergebnis gilt für alle.“
Einnahmen aus Besteuerung müssen in öffentliche Infrastruktur investiert werden
„Die ökonomische Theorie dahinter ist zugegebenermaßen kompliziert, aber die Ergebnisse unserer Studie sind ziemlich klar“, so Mattauch. „Interessanterweise stellt sich heraus, dass die Besteuerung von Kapitalerträgen tatsächlich dem sozialen Wohlstand insgesamt dienen kann; aber nur, wenn sie richtig gemacht wird.“ Am wichtigsten ist, dass die Einnahmen aus der Besteuerung von Kapital in die öffentliche Infrastruktur investiert werden müssen, was dem gesamtwirtschaftlichen Wohlstand zugute kommt. „Wenn die Einnahmen aus der Besteuerung der Reichen für bessere Bildung oder besseren Klimaschutz verwendet werden, profitiert die gesamte Wirtschaft“, sagt Koautor und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz von der Columbia University in New York. „Wenn die Regierungen die Einnahmen jedoch nicht für diese Art von Investitionen verwenden, kann die Besteuerung von Kapital der Wirtschaft auf lange Sicht sogar schaden und die Ungleichheit erhöhen.“
„Keine Angst haben, sehr reiche Menschen stärker zu besteuern“
Die Höhe der Besteuerung muss an die Wirtschaft des jeweiligen Landes angepasst werden. „Ganz allgemein brauchen die Regierungen aber keine Angst haben, sehr reichen Menschen eine höhere Kapitalbesteuerung aufzuerlegen“, sagt Hauptautor Mattauch. „Der Grund dafür ist, dass sich das Sparverhalten der Reichen stark von dem der Mittelschicht unterscheidet – wer viel Geld hat, spart für die Nachwelt, nicht für den eigenen Ruhestand. Das Sparverhalten der Reichen ist der eigentliche Grund für die Vermögensunterschiede.“ Die Ökonomen testeten in ihren Modellen eine Reihe von realistischen Steuersätzen. „Zu hohe Steuern würden die Anreize für Kapitalinvestitionen, beispielsweise in Fabriken, zu stark verringern, wenn maschinelle Leistung nicht gut durch menschliche Arbeit ersetzt werden kann“, erklärt Mattauch. „Populistische Vorschläge, privates Kapital extrem zu besteuern, würden der Wirtschaft und damit dem Gemeinwohl schaden. Es bleibt eine Gratwanderung.“ Die Untersuchung zeigt daher eine wichtige politische Folgerung für die Verringerung der Ungleichheit auf, die in Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ zwar vorkommt – aber nicht belegt wird.
Menschen und Maschinen – und sozialer Zusammenhalt
Die Erkenntnisse sind nur in Gesellschaften gültig, in denen im Großen und Ganzen Menschen für Maschinen einspringen können. In entwickelten Volkswirtschaften kann eine Selbstbedienungskasse im Supermarkt einen Menschen ersetzen, oder ein Roboter im Gesundheitswesen kann eines Tages eine Pflegekraft teilweise ersetzen. Die Automatisierung ist wichtig, weil in diese Maschinen Kapital investiert wird. Wenn diese Investitionen aufgrund der Kapitalbesteuerung schrumpfen, muss die Produktivität durch Arbeit aufrechterhalten werden. Dies ist ein empirischer Unsicherheitsfaktor, zumal die künstliche Intelligenz wirtschaftlich immer wichtiger wird und nur schwer zu ersetzen ist.
„Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in großen Volkswirtschaften wie den USA oder China deutlich vergrößert, zuletzt auch durch die Corona-Krise“, sagt Ottmar Edenhofer, Mitautor der Studie und Direktor des Potsdam-Instituts sowie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. „Es sind vor allem die Reichen, die reicher werden, nicht die Armen, die ärmer werden. Doch in Zeiten vielfältiger Krisen, vom Klima bis zur Konfrontation mit Russland, mit stärker schwankenden Energie- und Lebensmittelpreisen, sind die Bindekräfte der Gesellschaft wichtig. Die Menschen müssen zusammenstehen, und in dieser Hinsicht ist das wachsende Wohlstandsgefälle ein Risiko, das es zu verringern gilt.“
Bild oben: Das Wohlstandsgefälle kann ein Risiko für gesellschaftlichen Zusammenhalt sein – zumal in Zeiten vielfältiger Krisen. Foto: Pixabay/Hans