Was bedeutet Nachhaltigkeit? Was wird heute an der Technische Universität München (TUM) dafür getan? Und wie sieht eine nachhaltige Zukunft an der TUM aus? Darüber spricht der Geschäftsführende Vizepräsident für Forschung und Innovation, Prof. Gerhard Kramer, im Interview. Bei ihm ist das im Frühjahr 2020 gegründete Sustainability Office verankert.

Herr Prof. Kramer, überall wird derzeit über Nachhaltigkeit gesprochen – was bedeutet dieses Wort für Sie?

Nachhaltigkeit zu beschreiben ist nicht einfach, es ist ein Konzept, über das man zunächst nachdenken muss. Es geht um Respekt – vor der Umwelt, aber auch vor dem Menschen. Dann geht es um Verantwortung im Handeln. Ich würde Nachhaltigkeit also mit folgenden Worten beschreiben: Nachdenken, Respekt und Verantwortung. Auf Englisch klingt das Ganze etwas poetischer: Research, Respect and Responsibility.

Respekt und Verantwortung, wie können wir uns das konkret vorstellen 

Viele denken bei Nachhaltigkeit zunächst an die Umwelt. Aber es geht um mehr: Der Mensch steht im Zentrum. Nachhaltigkeit hat auch eine soziale Komponente – und eine ökonomische. Ein konkretes Beispiel ist das Thema Gender and Diversity. Es stellt sich hier die Frage: Was ist nachhaltig für eine Firma oder eine Hochschule? Ich würde sagen: nur das, was auch die einzelne Person respektiert. Es wäre zum Beispiel nachhaltig, wenn es sozial besser akzeptiert wäre, dass jede Person sich fachlich in die Richtung entwickelt, die sie interessiert und in der sie ihre Stärken hat. Ein anderes Beispiel ist die Internationalität. Unsere Universität ist in den letzten Jahren viel internationaler geworden. Das hat damit zu tun, dass wir darin einen Wert erkannt haben. Möglich war die Internationalisierung aber nur, weil wir anderen Kulturen respektvoll begegnen. Ein letztes Beispiel ist der ökonomische Aspekt: Wie finanziert man etwas nachhaltig? Als Universität, die zu großen Teilen aus Steuergeldern finanziert ist, haben wir eine große Verantwortung denen gegenüber, die diese Steuern zahlen.

Wo steht die TUM im Bereich Nachhaltigkeit?

Für die TUM spielt die Nachhaltigkeit schon seit langem eine Rolle – in vielen Bereichen. Ich möchte mit dem Thema Klimawandel und Ökologie beginnen. Das ist heute in den Medien sehr präsent und interessiert insbesondere Studierende. Sie bringen sich für dieses Thema an der TUM stark ein: Zum Beispiel organisieren sie die Ringvorlesung Umwelt und engagieren sich in studentischen Initiativen wie dem Referat für Umwelt – und seit 2018 gibt es das Green Office Straubing. Die TUM unterstützt und fördert dieses Engagement – zum Beispiel haben wir im Rahmen unserer Future Learning Initiative mit den „Sustainable Living Labs“ ein Projekt von Studierenden ausgezeichnet, das anderen Studierenden dabei helfen soll, an nachhaltigen Ideen für die Zukunft zu arbeiten. Auch haben wir unser Angebot an Studiengängen im Nachhaltigkeitsbereich über die Jahre deutlich ausgebaut. Dass Nachhaltigkeit für uns einen hohen Stellenwert hat, sieht man unter anderem daran, dass wir einen eigenen Campus haben, der sich dem Thema widmet: der TUM Campus Straubing für Biotechnologie und Nachhaltigkeit. Aber auch an anderen Fakultäten gibt es sehr viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Forschung sich mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Trotz alledem kann man nicht leugnen, dass wir noch Potenzial haben, uns zu verbessern. All diese Aktivitäten in Forschung, Lehre und auf Seiten der Studierenden sind bislang recht verteilt auf die verschiedenen Standorte der TUM und in unterschiedlichen Sphären. Sie sind noch nicht überall gleichermaßen stark vernetzt.

Wie können wir das verbessern?

Senior Vice President Gerhard Kramer verfolgt einen umfassenden Ansatz beim Thema Nachhaltigkeit. Foto: Astrid Eckert / TUM

Wir lenken unsere verteilten Initiativen und Projekte künftig in koordiniertere Bahnen, wir vernetzen und schaffen Synergien. Dass Nachhaltigkeit ein zentrales Zukunftsthema der TUM ist, hat Präsident Thomas Hofmann bereits zu Beginn seiner Amtszeit 2019 angekündigt. Daraufhin hat er die Taskforce Nachhaltigkeit ins Leben gerufen und das Sustainability Office gegründet, das wir aktuell ausbauen. Das Sustainability Office und die Taskforce Nachhaltigkeit sind dabei, die Aktivitäten an der TUM zu bündeln und uns gesamtstrategisch aufzustellen. Damit Nachhaltigkeit alle Bereiche der Universität durchdringen kann, brauchen wir alle – Studierende und Mitarbeitende, Forschende und Lehrende, Gründerinnen und Gründer.

Welche Aufgabe erfüllt die Taskforce Nachhaltigkeit?

Die Taskforce Nachhaltigkeit besteht aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Studierenden, die sehr an diesem Thema interessiert sind und die sich regelmäßig treffen. Die Leiterin der Taskforce, Miranda Schreurs, Professorin für Environmental and Climate Policy, holt auch Input von ihren internationalen Kontakten ein. Das ist wichtig und gibt neue Ideen – und wir sehen Best-Practice-Modelle anderer Unis. Die Taskforce kann Projekte voranbringen, motivieren, koordinieren – sie dient aber auch als Beratungsgremium, zum Beispiel für das Sustainability Office und damit auch für das Präsidium.

Welche Rolle hat das Sustainability Office?

Das Sustainability Office ist eine Stabsstelle, die über mich als Vizepräsidenten direkt an das Hochschulpräsidium angegliedert ist. Daran sieht man, wie wichtig uns als Universitätsleitung das Thema ist. Durch die zentrale Verankerung können wir uns noch einfacher lokal, regional und international vernetzen und auch innerhalb der TUM gesamtstrategisch agieren. Derzeit erfasst das Sustainability Office die bestehenden Aktivitäten an der TUM und evaluiert den Status quo. Darüber hinaus soll das Office auf das Thema Nachhaltigkeit aufmerksam machen und ein Bewusstsein dafür schaffen. Um eine Universität mit 44.000 Studierenden und fast 11.000 Mitarbeitenden für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren, reichen eine Stabsstelle und eine Taskforce aber nicht aus. Wir brauchen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, also Botschafterinnen und Botschafter, Wissensträgerinnen und Wissensträger für das Thema, ‚Ambassadors of Sustainability‘. Nur gemeinsam können wir unser Handeln als TUM nachhaltig gestalten. Und dazu möchte ich alle einladen und motivieren!

Sie haben vorhin die Forschung angesprochen. In welchen Bereichen der Nachhaltigkeitsforschung ist die TUM stark, wo gibt es vielversprechende Ansätze?

Ich würde sagen, dass in jeder Disziplin an der TUM mindestens ein Nachhaltigkeitsthema erforscht wird. Besonders hervorzuheben sind unsere Beiträge in den Agrar- und Pflanzenwissenschaften am Campus Weihenstephan, in der Bioökonomie und Biotechnologie am Campus Straubing, in der Energie-, Mobilitäts- und Klimaforschung am Campus Garching und in der Erforschung der gebauten und geplanten Umwelt am Münchner Stammgelände.

Haben Sie konkrete Beispiele aus der Forschung?

In unserer Forschungsstation Friedrich N. Schwarz in Berchtesgaden betrachten wir das alpine Ökosystem, im Schneefernerhaus auf der Zugspitze betreiben wir Klima- und Umweltforschung. Zentral ist auch die Forschung im Bereich Lebensmittel. Da wird untersucht: Wie ernähren wir uns und wie beeinflussen wir damit unsere Umwelt und auch andere Länder? Unsere Steckenpferde sind natürlich Technikforschung und Technologien. Sie geben uns beispielsweise Lösungsansätze für die Frage, wie wir Energie effizienter nutzen können. Auch im Planen und Bauen von nachhaltigen Gebäuden haben wir Expertise. Beispiele dafür sind umwelt- und menschenfreundliche Häuser aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Wichtig und vielversprechend ist auch der Bereich Kreislaufwirtschaft – die Circular Economy. Hier geht es beispielsweise darum, wie wir den Lebenszyklus von Produkten optimieren, Lieferketten effizienter gestalten oder Materialien wiederverwerten können. Dazu wird an der TUM in vielen Disziplinen geforscht. Wir haben ein großes Know-how, etwa was Materialien angeht – aber auch im Management. An der Forschung zum Thema Kreislaufwirtschaft hat auch schon die Industrie Interesse bekundet. Da Nachhaltigkeit so viele Themen und Aspekte des Lebens berührt, betrifft sie auch die ganze Breite der Forschung und eigentlich alle Disziplinen unserer Universität. Diese Expertisen wollen wir künftig besser vernetzen, denn Nachhaltigkeit erfordert eine interdisziplinäre Herangehensweise und vor allem das Denken über die reine Technik und Technologie hinaus.

An der TUM werden inzwischen zahlreiche Studiengänge zum Thema Nachhaltigkeit angeboten. Was macht diese Programme aus?

Gerade diese Studiengänge sind sehr interdisziplinär angelegt – sie beleuchten die bearbeiteten Themen aus vielen Perspektiven. Im Sinne eines ‚human-centered engineering‘ wollen wir junge Menschen ausbilden, die nicht nur die technische Seite ihres Fachs kennen, sondern sich auch ethischer und sozialer Implikationen bewusst sind. Hierfür spielen Geistes- und Sozialwissenschaften eine wichtige Rolle. Dass wir diese immer stärker in unsere Curricula – und auch unsere Forschung – integrieren, ist für eine Technische Universität etwas Besonderes. Im November 2020 haben wir beispielsweise das internationale ingenieurwissenschaftliche Studienprogramm EuroTeQ Engineering University gestartet, das über Disziplinen, Ländergrenzen und Institutionen hinweg verantwortungsvoll handelnde Ingenieurinnen und Ingenieure ausbildet.

Wir haben jetzt darüber gesprochen, in welchen Bereichen der Nachhaltigkeit die TUM bereits stark ist. Wo soll die Reise hingehen?

Unser Ziel ist, dass wir in unserem Handeln immer die Anforderungen der Natur berücksichtigen, verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen und dem Schutz von Mensch und Umwelt eine hohe Priorität einräumen. Wir wollen neueste Erkenntnisse aus der Forschung unmittelbar in unsere Kooperationen einfließen lassen, in die Curricula unserer Studiengänge, in Technologieunternehmen sowie in Fort- und Weiterbildungsprogramme an unserem neuen Institute for LifeLong Learning. Universitäten sind genau das richtige Umfeld, um Prozesse und Erfordernisse für eine nachhaltige Gesellschaft zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu geben. Wenn ich an die TUM als Institution denke, ist es von großer Bedeutung, dass wir einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der alle Sphären unserer Universität einschließt. Aber: Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Herausforderung für eine Universität oder ein Land. Es ist ein globales Thema und wird in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen.

Bild ganz oben: Senior Vice President Gerhard Kramer verfolgt einen umfassenden Ansatz beim Thema Nachhaltigkeit. Foto: Astrid Eckert / TUM

Von fil