Interview mit Lucrèce Foufopoulos – Executive Vice President Polyolefins, Circular Economy und CTO bei Borealis über die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens, chemisches Recycling und Design for Recycling.

Circular Technology: Borealis bietet mit seinem EverMinds Produktportfolio nachhaltige Polyolefine an. Wie definieren Sie in diesem Zusammenhang Nachhaltigkeit?

Lucrèce Foufopoulos: Nachhaltige Lösungen, ob Polyolefine oder Basischemikalien oder andere Produkte müssen aus unserer Sicht drei aktuelle Probleme adressieren: Zum einen die Ineffizienz im Umgang mit Ressourcen. Die verfügbaren Rohstoffe reichen nicht aus, um alle Produkte herzustellen, die wir gerne hätten. Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer offensichtlicher und damit auch die Notwendigkeit, industrielle Prozesse zu verändern. Außerdem gibt es ein Problem mit Kunststoffabfällen. Dieses mag in Europa nicht so groß sein, wie in anderen Weltregionen, aber wir glauben, dass auch hier erhebliche Verbesserungen möglich sind.

CT: Es geht also darum, negative Auswirkungen von Kunststoffen auf die Umwelt zu minimieren?

LF: Ja, aber nicht nur. Es geht auch darum, die Vorteile von Kunststoffen als vielseitiges, leistungsstarkes und leichtes Material zu nutzen, um den Übergang vieler nachgelagerter Industrien in eine kohlenstoffneutrale Zukunft zu ermöglichen.  In der Automobilindustrie tragen wir mit unseren Produkten zu Leichtbaulösungen bei und ermöglichen damit eine CO2-Reduzierung. Die Umstellung der Gesellschaft auf erneuerbare Energien – wie Solar- und Windenergie – erfordert einen hohen Verbundgrad mit dem Stromnetz. Die Borealis Borlink Technologie gewährleistet dank unseres umfangreichen Energielösungsportfolios einen zuverlässigen Stromtransport aus Windkraft und anderen erneuerbaren Energiequellen. Das Potenzial in den verschiedenen Bereichen ist unterschiedlich. Wir versuchen, in allen Bereichen besser zu werden – unabhängig davon, ob die Auswirkungen sofort groß sind oder vieler kleiner Schritte bedürfen.

CT: Die Emissionen von Treibhausgasen werden in drei Kategorien unterteilt: Scope 1 umfasst die direkt vom Unternehmen verursachten Emissionen, also Heizung, Kühlung oder der eigene Fuhrpark. In Scope 2 werden indirekte Emissionen aus zugekaufter Energie zusammengefasst. Zu Scope 3 schließlich zählen alle Emissionen, die durch die Wertschöpfungskette verursacht werden. Die Erfassung ersten beiden sind nicht besonders komplex. Wie gehen Sie mit den Scope 3 Emissionen um?

Im Gespräch: Lucrèce Foufopoulos-DeRidder und Philipp Lubos. Foto: Circular Technology

LF: Die OMV Gruppe, die 75 % an Borealis hält, hat sich verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu sein. Bis 2025 wird Borealis seine Scope-1- und Scope-2-Emissionen halbiert und weitere 5 Jahre später um 60 % reduziert haben. Derzeit prüfen wir, wie wir unsere Scope-3-Emissionen reduzieren können. Die Zielsetzung ist dabei wesentlich komplexer, auch weil unsere Lieferanten und Partner ihre eigenen Vorstellungen haben. Man darf nicht vergessen: Als Polymerhersteller haben unsere Scope-1- und Scope-2-Werte Auswirkungen auf die Scope-3-Emissionen unserer Kunden. Wenn sich der CO2-Fußabdruck unserer Produkte also verringert, reduzieren wir den Fußabdruck der gesamten nachgelagerten Wertschöpfungskette.

Kurz gesagt: Wir sind nach wie vor fest entschlossen, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, und zwar in allen drei Bereichen. Unsere Nachhaltigkeitsexperten werden in naher Zukunft konkretere Ambitionen für Scope 3 vorstellen.

CT: Wie häufig überprüfen Sie, ob die getroffenen Maßnahmen den gewünschten Erfolg haben?

LF: In einigen Bereichen können wir wöchentliche Assessments durchführen. Andere besonders komplexe Prozesse werden in einem jährlichen Strategiemeeting über eine ganze Woche analysiert. Die Statusbestimmung findet also zwischen wöchentlich und jährlich statt.

Unser Geschäft wird durch die Integration umweltverträglicher Rohstoffquellen deutlich komplexer. Gleichzeitig werden die regulatorischen Vorgaben strenger. Um allen Anforderungen gerecht zu werden haben wir unser Betriebsmodell angepasst, damit wir die Auswirkungen unserer Aktivitäten schneller und präziser erkennen können. Dazu gehört auch, dass wir den Verantwortlichen mehr Verantwortung übertragen. Indem wir ihnen mehr Entscheidungsfreiheit geben, werden unsere Prozesse erheblich beschleunigt.

CT: Wie steht Borealis zum chemischen Recycling von Kunststoffabfällen?

Das Kaskadenmodell von Borealis. Grafik: Borealis

LF: Wir sehen die drei bereits erwähnten Herausforderungen – Ressourcenknappheit, Emission von Treibhausgasen und unkontrolliertes Freisetzen von Kunststoffabfällen – als gleich wichtig an. Es wäre einfach für uns als integrierter Polyolefinerzeuger, vor unsere Cracker Pyrolyse-Einheiten zu setzen und unsere Polymere dann auf der Basis von Pyrolyseöl herzustellen, aber das würde nur einen Teil des Problems lösen. Deshalb haben wir ein einzigartiges integriertes Kreislaufmodell entwickelt, das komplementäre Materialien, Designansätze und Technologien kaskadenförmig kombiniert, um die Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe und Kohlenstoff zu verwirklichen.

Unser Kaskadenmodell nutzt eine ganze Reihe sorgfältig ausgewählter Technologien, die sicherstellen, dass die Produkte über mehrere Lebenszyklen hinweg auf möglichst ökoeffiziente Weise genutzt werden.

CT: Sie verfolgen also eine Kaskade optimaler Lösungen? Chemisches Recycling ist also an der richtigen Stelle der Wertschöpfungskette sinnvoll?

LF: Ja genau, denn ohne die Möglichkeit, die letzten Rinnsale der Abfallströme, die sonst bereits um alle anderweitig verwertbaren Materialien reduziert worden wären, chemisch abzubauen, sind die Recyclingziele nicht zu erreichen.

Letztlich geht es darum, den Wert und die Effizienz unserer Polyolefine zu maximieren und dabei einen minimalen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen. Das erfordert eine Kombination aus Designprinzipien und Technologie. Für das chemische Recycling etwa ist die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie essenziell.

CT: Was sind typische Optionen, die Sie zu Beginn des Kaskadenmodells betrachten?

LF: Am Anfang sollte immer die Option stehen, Produkte möglichst lange und oft wiederzuverwenden – so wie bei einer Mehrwegflasche. Wir unterstützen diesen Ansatz, obwohl wir dadurch nicht unbedingt zusätzliche Mengen verkaufen. Unsere Investition in das britische Unternehmen Bockatech unterstreicht diese Überzeugung. Das Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die es ermöglicht, leistungsstarke, wiederverwendbare und recycelbare Schaumstoff-Spritzgusslösungen mit einem geringeren CO2-Fußabdruck herzustellen. Auf diese Weise können mit geringem Ressourcenbedarf Mehrwegverpackungen hergestellt werden, die Einwegverpackungen ersetzen.

Das beginnt damit, dass wir unsere Produkte im Hinblick auf Ökoeffizienz entwickeln, um den Ressourcenverbrauch zu minimieren und aus jedem Gramm oder Tropfen Material den maximalen Lebenszeitwert herauszuholen. Unser Ziel ist es auch, die Lebensdauer bestehender Produkte zu verlängern, indem wir sie für die Wiederverwendung konzipieren (Design for Reuse) und dabei unser Wissen über die Verwendung und Verarbeitung von Kunststoffen nutzen. Die nächste Stufe des Modells ist das Design for Recycling. Dabei geht es darum, Produkte zu entwerfen, die leicht wiederverwendet werden können und die einfach zu sammeln, zu sortieren und mechanisch zu recyceln sind. Dann schließen wir den Kreislauf. Erstens durch den Einsatz innovativer Techniken für das mechanische Recycling, um qualitativ hochwertige Produkte zu liefern, die so nah wie möglich an Neuware sind und einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck hinterlassen. Auch das chemische Recycling spielt in unserem Kaskadenmodell eine wichtige Rolle und ergänzt unsere Möglichkeiten des mechanischen Recyclings.

CT: All das erfordert erhebliche Investitionen, etwa in die Erzeugung erneuerbarer Energie, und erhebliche Umstellungen bei Prozessen und Geschäftsmodellen. Wie organisieren Sie diesen Wandel?

LF: Zunächst einmal wächst die Nachfrage nach umweltfreundlichen Lösungen. Damit dies gelingt, sind konzertierte und koordinierte Anstrengungen entlang der Wertschöpfungskette erforderlich, die durch entsprechende Regularien und Investitionen ermöglicht werden.

Bild oben: Interview mit Lucrèce Foufopoulos – Executive Vice President Polyolefins, Circular Economy und CTO bei Borealis erklärt, wie Borealis in eine nachhaltige Zukunft gelangen will. Foto: Borealis

Von fil