Das Team um Prof. Matthias Beller vom Leibniz-Institut für Katalyse ist beteiligt an den Bemühungen chemische Produktionsprozesse abfallfrei zu gestalten. Foto: LIKAT / Nordlicht

„Grüne und nachhaltige Chemie“ bedeutet Feinchemikalien in Zukunft nahezu abfallfrei und erneuerbar herzustellen. In diesem Bereich stellt dies eine Herausforderung dar, denn es handelt sich bei den Produkten um meist sehr geringe Produktionsmengen, die komplexe Synthesewege mit mehreren Reaktionsschritten beanspruchen, was jede Menge Nebenprodukte verursacht. Mit Förderung der DFG wollen die Beteiligten die chemischen Prozesse und Herstellung von zwei ausgewählten Substanzklassen komplett neu entwickeln – vom molekularen „Design“ entsprechender Katalysatoren und Ausgangssubstanzen bis zum Pilot-Verfahren. Die betreffenden Substanzen sind biologisch bedeutsame Aminosäuren und Aminoalkohole, die u.a. als pharmazeutisch aktive Verbindungen eine wichtige Rolle spielen.

Abfallfreie chemische Produktionssysteme

Das Ziel sind laut Auskunft der DFG „stabil laufende Produktionssysteme, bei denen alle Prozessstufen optimal aufeinander abgestimmt sind“, was Entscheidungen über den Einsatz von Katalysatoren, Lösungsmittel, Additiven, Trennmaterialien, Apparatetypen und Betriebsbedingungen einschließt. „Es geht um nichts weniger als die Entwicklung der „perfekten“ Reaktion für die Produktion von Feinchemikalien“, betont LIKAT-Direktor Professor Matthias Beller. „Das meint eine komplette Reaktionskaskade, in der unter möglichst milden Temperaturen und Drücken sämtliche Ausgangs- und Zusatzstoffe abfallfrei umgesetzt werden sollen.“ „Gleichzeitig kommen moderne Membranverfahren für integrierte Trennschritte zum Einsatz“, ergänzt Professor Udo Kragl vom Institut für Chemie der Universität Rostock.

Völlig neue Wege

„Wir wollen methodisch einen völlig neuen Weg in der Herstellung von Feinchemikalien entwickeln“, erläutert Prof. Kai Sundmacher von der Universität Magdeburg. „Bisher läuft die Prozessentwicklung so, dass zunächst Chemikerinnen und Chemiker die beteiligten Stoffe, Lösungsmittel und Katalysatoren auswählen und anschließend von Verfahrensingenieurinnen und -ingenieuren der technische Prozess für die Ausführung der chemischen Synthese sowie die Reinigung des Produkts entworfen wird.“ Diese sequenzielle, also nacheinander ablaufende Vorgehensweise führe in der Regel nicht zum besten Ergebnis, weil der Raum für mögliche Stoff-Prozess-Kombinationen stark eingeschränkt werde. Im Ergebnis sehe man zum Beispiel Prozesse, bei denen die chemische Reaktion sehr gut laufe, aber die Abtrennung des Produktes nur mit hohem Energieeinsatz möglich sei. „Unsere Forschungsgruppe verfolgt daher den Ansatz, von Beginn an alle im Prozess wichtigen Variablen gleichzeitig zu berücksichtigen: also die molekularen Variablen der beteiligten Stoffe und die prozesstechnischen Variablen, zum Beispiel den Druck und die Temperatur, der beteiligten Verfahrensschritte. Wir sprechen hier von einem simultanen Entwurfskonzept.“

Dazu wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler computergestützte Modellierungs- und Optimierungsmethoden eng mit experimentellen Untersuchungen in miniaturisierten Chemieanlagen verknüpfen. Sogenannte Miniplant-Module sollen von den beteiligten Arbeitsgruppen zunächst einzeln aufgebaut und dann in Magdeburg zu einer Gesamtanlage verbunden werden. So kann anschließend ein gesamter Herstellungsprozess simuliert werden, zum Beispiel für die Herstellung von Aminosäuren aus Olefinen. Aminosäuren sind wichtige Bausteine u.a. für pharmazeutische Wirkstoffe.

Vielzahl von Variablen macht Aufgabe extrem komplex

„Die vor uns liegende Aufgabenstellung ist sehr komplex, weil eine sehr große Zahl von Entscheidungsvariablen gleichzeitig berücksichtigt werden muss“, erläutert Prof. Kai Sundmacher. „Es gibt eine Vielzahl von zum Teil unbekannten Wechselwirkungen zwischen diesen Variablen. Um diese Komplexität zu beherrschen, will unsere Gruppe verstärkt datengetriebene Methoden und maschinelles Lernen für das Prozessdesign und für die Prozessführung einsetzen. Wenn es gelänge, in dem riesigen Suchraum möglicher Lösungen die beste Kombination von Katalysatoren, Lösungsmitteln, Reaktionsbedingungen, Apparatetypen und Betriebsweisen zu finden, dann wäre es möglich, chemische Produktionsprozesse zu realisieren, die nicht nur ökonomisch attraktiv, sondern auch umweltfreundlich sind.“ In den kommenden Monaten würden in Magdeburg, Rostock und Potsdam spezielle Versuchsapparaturen aufgebaut und in Betrieb genommen, so Sundmacher. „Parallel dazu können bereits computergestützte Berechnungen durchgeführt werden, um erste mögliche Kandidaten für Katalysatoren, Lösungsmittel und Membranen zu ermitteln. Diese Moleküle beziehungsweise Materialien aus dem Computer werden wir dann anschließend mit den Versuchsapparaturen experimentell bewerten.“ Bis zum Ende der ersten Förderperiode 2026 soll eine optimale Kombination von Molekülen, Materialien und Prozessstufen für ausgewählte, pharmazeutisch relevante Zielsubstanzen stehen.

Bild ganz oben: Modulare Miniplant zur Synthese von Feinchemikalien. Foto:Stefan Deutsch/Max-Planck-Institut Magdeburg

 

Von fil