Wissenschaftliche Sachverständige der EFSA kamen in einer aktuellen Neubewertung zu dem Schluss, dass die ernährungsbedingte Exposition gegenüber Bisphenol A (BPA) ein Gesundheitsrisiko für Verbraucher in allen Altersgruppen darstellt. Sie legen einen um den Faktor 20.000 niedrigeren Genzwert fest. Die Europäische Kommission und die nationalen Behörden wollen geeignete Regulierungsmaßnahmen erörtern, um den Empfehlungen der EFSA nachzukommen.

Dr. Claude Lambré, Vorsitzender des EFSA-Gremiums für Lebensmittelkontaktmaterialien, Enzyme und Verarbeitungshilfsstoffe, erklärte: „Unsere Wissenschaftler haben die Sicherheit von BPA in den Jahren seit unserer ersten umfassenden Risikobewertung des Stoffes im Jahr 2006 eingehend untersucht. Für diese Neubewertung untersuchten wir zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen, darunter über 800 neue Studien, die seit Januar 2013 veröffentlicht wurden. Dadurch konnten wir wichtige Unsicherheiten in Bezug auf die Toxizität von BPA ausräumen. In den Studien beobachteten wir einen Anstieg des Anteils einer Art weißer Blutkörperchen, der sogenannten T-Helferzellen, in der Milz. Sie spielen eine Schlüsselrolle bei den zellulären Immunmechanismen des Menschen, und eine Erhöhung der Konzentration dieser Art von Blutkörperchen könnte zur Entwicklung allergischer Lungenentzündungen und Autoimmunerkrankungen führen.“ Das Gremium berücksichtigte auch andere potenziell schädliche Auswirkungen auf die Reproduktions-, Entwicklungs- und Stoffwechselsysteme, die bei der Risikobewertung festgestellt wurden.

Systematisches Vorgehen

Dr. Henk Van Loveren, Vorsitzender der EFSA-Arbeitsgruppe für die Neubewertung von BPA, sagte hierzu: „Zur Bewertung der großen Zahl der seit 2013 veröffentlichten Studien – dem Ausgangspunkt für unsere frühere Bewertung im Jahr 2015 – haben wir einen systematischen und transparenten Ansatz verfolgt. Wir haben vorab ein Protokoll für die Auswahl und Bewertung aller Nachweise zusammen mit den Beiträgen der Interessenträger und der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten entwickelt. Unsere Erkenntnisse sind das Ergebnis eines intensiven Evaluierungsprozesses über mehrere Jahre, den wir mit Hilfe der Beiträge abgeschlossen haben, die wir im Rahmen einer im Dezember 2021 eingeleiteten zweimonatigen öffentlichen Konsultation gesammelt haben.“

Niedrigerer Aufnahmegrenzwert

Im Vergleich zu seiner vorherigen Bewertung im Jahr 2015 setzte das Expertengremium der EFSA den Wert für die tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (Tolerable Daily Intake – TDI) für BPA deutlich herab. Beim TDI-Wert handelt es sich um die Menge, die im Laufe eines Lebens täglich aufgenommen werden kann, ohne dass ein nennenswertes Gesundheitsrisiko besteht. Im Jahr 2015 legten unsere Sachverständigen aufgrund der Unsicherheiten bei den vorliegenden Nachweisen einen vorläufigen TDI-Wert fest, wobei sie die Notwendigkeit zusätzlicher Daten zu den toxikologischen Wirkungen von BPA hervorhoben. Im Rahmen der aktuellen Neubewertung konnten die meisten dieser Lücken geschlossen werden, und bei der Festlegung des TDI-Wertes wurden verbleibende Unsicherheiten berücksichtigt.Die Wissenschaftler der EFSA haben einen TDI-Wert von 0,2 Nanogramm (0,2 Milliardstel eines Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag festgelegt, der den bisherigen vorläufigen Wert von 4 Mikrogramm (4 Millionstel eines Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag ersetzt. Der neu festgelegte TDI-Wert ist etwa 20 000 Mal niedriger.

Exposition gegenüber BPA

Durch den Vergleich der neuen TDI mit Schätzungen der ernährungsbedingten BPA-Exposition kamen unsere Sachverständigen zu dem Schluss, dass sowohl Verbraucher mit mittlerer als auch mit hoher BPA-Exposition in allen Altersgruppen den neuen TDI-Wert überschreiten, was auf Gesundheitsbedenken hinweist. Unser Expertengremium hat zwar die Expositionsschätzungen aus seiner Bewertung im Jahr 2015 herangezogen, wir erkennen jedoch an, dass die von den EU-Gesetzgebern nach 2015 eingeführten Beschränkungen für einige Verwendungen des Stoffes die Aufnahme über die Nahrung möglicherweise verringert haben. Damit ist unser Szenario konservativ. Mehrere Variablen können das allgemeine Gesundheitsrisiko für eine Person beeinflussen, einschließlich anderer Stressfaktoren für den menschlichen Körper, Genetik und Ernährung.

Gemeinsame Berichte

Neben der Konsultation zum Entwurf der wissenschaftlichen Bewertung führte die EFSA 2017 eine öffentliche Konsultation zu dem Protokoll durch, in dem die vorgeschlagene Methodik beschrieben wird. Gemeinsam mit anderen wissenschaftlichen Gremien erörterten unsere Wissenschaftler zudem die Methodik und die Ergebnisse, um zu Tage tretende Unterschiede zu klären und/oder zu beheben, wie z. B. die Verwendung von „Zwischenendpunkten“, bei denen es sich um frühe Signale handelt, die auf die potenzielle Entwicklung schädlicher Auswirkungen auf die Gesundheit hinweisen. In diesem Zusammenhang haben wir gemeinsame Berichte veröffentlicht, in denen die Erörterungen mit der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zusammengefasst werden.Diskussionen wie diese, die wir mit unseren Partnern und Interessenträgern führen, tragen zur Weiterentwicklung von Risikobewertungsmethoden bei, die bei unseren Sicherheitsbewertungen angewendet werden, wobei die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und das Verständnis potenzieller Risiken zu berücksichtigen sind.

Bisphenol A (BPA) ist ein chemischer Stoff, der in Kombination mit anderen chemischen Stoffen zur Herstellung bestimmter Kunststoffe und Harze verwendet wird. BPA wird beispielsweise für Polycarbonat, einen transparenten und harten Kunststoff, verwendet, der wiederum zur Herstellung von Wasserspendern, Lebensmittelbehältnissen und Mehrweg-Getränkeflaschen verwendet wird. BPA dient auch zur Herstellung von Epoxidharzen, die als Schutzbeschichtungen und Innenauskleidungen für Konserven- sowie Getränkedosen und -fässer eingesetzt werden. Chemische Stoffe wie BPA, die in Lebensmittelbehältnissen verwendet werden, können in sehr geringen Mengen in die darin enthaltenen Lebensmittel und Getränke übergehen, sodass Wissenschaftler der EFSA ihre Sicherheit unter Berücksichtigung neuer Daten regelmäßig überprüfen.

Weiteres Vorgehen

Die EU-Entscheidungsträger, d. h. die Europäische Kommission und Vertreter der Mitgliedstaaten, sind für die Festlegung von Grenzwerten für die Menge eines chemischen Stoffes zuständig, die von der Lebensmittelverpackung in Lebensmittel übergehen kann. Die wissenschaftliche Beratung der EFSA zu BPA wird nun als Informationsgrundlage für die Diskussionen der EU-Gesetzgeber über geeignete regulatorische Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher dienen.

Bild oben: BPA kommt in vielen Bereichen zum Einsatz unter anderem als Schutzbeschichtung in Konservendosen. Foto: pixabay/goodlynx

Von fil