Unter Leitung der Empa-Forscherin Mashael Yazdanie hat ein internationales Team untersucht, wie Energiesysteme im „Globalen Süden“ aussehen könnten, um trotz Klimawandel Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Am Beispiel von Accra, der Hauptstadt von Ghana, erweiterten die Forschenden konventionelle Modellansätze für Energiesysteme um sozioökonomische Faktoren, technische Herausforderungen und Auswirkungen klimatischer Veränderungen. Die Ansätze sind global einsetzbar, um den Wandel zu widerstandsfähigen und nachhaltigen Energiesystemen zu unterstützen.
Nach welchen Kriterien sollen wir unsere Energieplanung auf die Zukunft ausrichten? Inwiefern beeinflussen klimabedingte Veränderungen, sozioökonomische Faktoren und technische Herausforderungen die Planung nachhaltiger Energiesysteme weltweit? Und wie sieht die Situation in einer Region aus, die ausserhalb der europäisch-industrialisierten Perspektive liegt? Mit diesen Leitfragen war das interdisziplinäre „MEASURES„-Projekt – kurz für „Modeling Approaches for Sustainable and Resilient Energy Planning“ – anhand eines konkreten Fallbeispiels in Ghana vor vier Jahren gestartet.
Ziel war die Entwicklung von Modellansätzen, die anhand verschiedener Dimensionen wie Energiebedarf, Infrastruktur, Klimadaten, Widerstandsfähigkeit und diverser sozioökonomischer Faktoren auch für andere Regionen und Länder Handlungsempfehlungen für eine widerstandsfähige Energieplanung bieten können.
Spezielles Augenmerk legten die Forschenden dabei auf strukturelle Gegebenheiten, die in klassischen Energiemodellen nicht oder kaum berücksichtigt werden: klimabedingte Extremwettersituationen und Migration, informelle Wirtschaftssysteme – also wirtschaftliche Aktivitäten, die ohne staatliche Kenntnis durchgeführt werden –, instabile Währungen sowie unterdrückter Energiebedarf als Folge fehlender Infrastruktur oder finanzieller Mittel. All diese Faktoren sind in Ghana gegeben, was das Land zu einer idealen Fallstudie machte. Geleitet wurde das internationale Forschungsprojekt, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) von 2020 bis 2023 unterstützt wurde, von Mashael Yazdanie, Gruppenleiterin am „Urban Energy Systems Laboratory“ der Empa.
Regionale Merkmale fliessen in Handlungsempfehlungen ein
Die Forschenden untersuchten dabei eine Reihe von Herausforderungen, die für die Energieplanung rund um Accra relevant sind. Welche klimabedingten Veränderungen sind in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten? Wie wirken sich diese auf die regionale Migration aus? Welchen Einfluss haben informelle Wirtschaft und unterdrückter Energiebedarf auf die Energieplanung? Inwiefern wirkt sich die Währungsabwertung auf den Aufbau und die Entwicklung der Infrastruktur für nachhaltige Energieproduktion aus?
Mit Hilfe des Open-Source Modellierungs-Tools „OSeMOSYS“ haben sie anschliessend ein entsprechendes Energiesystem für Accra entwickelt und verschiedene Szenarien untersucht. Das Modell hat optimierte Planungsschritte für Accra bezüglich Kosten, CO2-Belastung und Widerstandsfähigkeit geliefert, wobei die speziellen regionalen Umstände miteinbezogen wurden.
Etwa, wenn es um den Aufbau neuer Infrastruktur für eine nachhaltige Energieproduktion geht, wobei die Forschenden zum Schluss kommen: „Im Fall von Accra sind Investitionen in Photovoltaik und Windenergie am stärksten vom Währungsabfall betroffen. Falls Photovoltaik Teil einer grösseren Nachhaltigkeitsstrategie in Accra sein sollte – wie es die aktuelle Planung vorsieht – zeigen unsere Resultate, dass diese Investitionen besser früher als später getätigt werden sollten, damit sich der Staat diese leisten kann.“ Im Hinblick auf ein nachhaltiges, klimafreundliches Energiesystem empfiehlt die Untersuchung zudem die Elektrifizierung des Transportsystems sowie die systematische Sammlung und energetische Nutzung des Abfalls.
Von lokaler Entwicklung zu globaler Inspiration
Die Fallstudie in Ghana ist aber nicht das einzige Resultat des „MEASURES“-Projekts: Die Forschenden versprechen sich daraus aussagekräftigere Ansätze, wenn es um die Planung widerstandsfähiger und nachhaltiger Energiesysteme rund um den Globus geht. Denn nebst ökologischer Faktoren, die aufgrund klimatischer Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen werden, beinhaltet ihr Modell auch verschiedene sozioökonomische Variablen, die in konventionellen Ansätzen bisher wenig bis gar keine Aufmerksamkeit erhalten haben.
Deshalb legte das Projektteam Wert darauf, sämtliche Methoden und Resultate in „Open-access“-Formaten zu veröffentlichen. So können Forschende und Entscheidungsträger auf der ganzen Welt darauf zugreifen, um langfristige Energiestrategien weiterzuentwickeln. Insbesondere für Länder mit tiefen und mittleren Einkommen, die ohnehin stärker von klimatischen Veränderungen betroffen sind, stellen die Resultate und Werkzeuge des „MEASURES“-Projekts daher eine wertvolle Anschubleistung in der Entwicklung zukunftsorientierter Energiesysteme dar.
Bild ganz oben: Wie muss die Infrastruktur aussehen, damit eine möglichst sichere und nachhaltige Energieversorgung gewährleistet werden kann? Dieser Frage hat sich das MEASURES-Projekt am Fallbeispiel von Accra (Ghana) gewidmet. Abbildung: MEASURES Project
Text: Christoph Stapfer