Im Interview zum Jahresauftakt 2024 ordnen Prof. Bonten, Leiter des Instituts für Kunststofftechnik an der Universität Stuttgart, und Prof. Endres, Leiter des IKK – Institut für Kunststoff- und Kreislauftechnik an der Leibniz Universität Hannover, gemeinsam die Entwicklungen und Herausforderungen für die Kunststoffindustrie und die Kreislaufwirtschaft ein. Die Experten berichten von ihren aktuellen Forschungsprojekten und geben einen Ausblick, worauf im kommenden Jahr zu achten sein wird. Bonten und Endres sehen die Branche regulatorisch, technologisch und ökonomisch im Umbruch und beleuchten Fallstricke und Erfolgsfaktoren. Sie betonen die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Umgangs mit Kunststoffen, und betrachten biogene Kohlenstoffe, Recycling und CO2-Nutzung als Schlüsselansätze. Gesetzlich vorgeschriebene Einsatzquoten für Rezyklate und Nachhaltigkeitsbewertungen für Produkte werden neue Anreize für eine umweltverträglichere Kunststoffindustrie setzen. Demnächst erwartete Standards werden den Einsatz von Kunststoffrezyklaten vereinfachen. Langfristig könnten europaweite Produktbesteuerungen auf Grundlage von Ökobilanzen recycelte Kunststoffe finanziell begünstigen.

Circular Technology: Welche Entwicklungen und Innovationen erwarten Sie im Jahr 2024 im Bereich Kunststoff und Kreislaufwirtschaft, insbesondere in Bezug auf neue Technologien oder Verfahren?

Die Branche ist sensibilisiert und aktiv: es werden sich die Prozesse und Abläufe in allen Bereichen der Kunststoffrecyclings weiterentwickeln. Dies gilt sowohl für die Vorbehandlungs- und Aufbereitungsstrategien, als auch für die unterschiedlichen mechanischen, lösemittelbasierten als auch chemischen Recyclingverfahren. Zudem werden die Recyclingmethoden zur Erhöhung der Effizienz und Steigerung der Outputqualität kombiniert. Beispiele dafür wäre der Einsatz des Doppelschneckenextruders zur Entfernung von Restlösemitteln durch Entgasung oder umgekehrt eine vorgelagerte Aufschmelzung vor dem Einsatz eines Lösemittels. Sogar eine gezielte Depolymerisierung im Doppelschneckenextruder ist möglich.

CT: Welche Herausforderungen und Trends zeichnen sich für das Jahr 2024 ab, wenn es um den Umgang mit Kunststoffabfällen und die Förderung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft geht?

Die EU adressiert mit ihren Vorgaben zur Kreislaufwirtschaft und dem Kunststoffrecycling auch zunehmend Branchen außerhalb des Verpackungsbereiches. Dadurch verbreitern sich die Inputströme für das Recycling um Produkte z.B. aus dem Automobil-, E&E-, Textil-, Bau- und sogar Medizinbereich. Auf Werkstoffebene bedeutet dies für das Recycling, dass nicht mehr nur die typischen Verpackungswerkstoffe PE, PP, PS und PET, sondern auch zunehmend technische Kunststoffe und Verbundwerkstoffe auf Basis von PA, ABS, PC u.a. wiederverwertet werden müssen.

CT: Können Sie prognostizieren, welche langfristigen Veränderungen und strategischen Ansätze im Jahr 2024 im Kunststoffsektor und der Kreislaufwirtschaft an Bedeutung gewinnen werden, und wie werden diese den Industriewandel beeinflussen?

Die gesamte Kunststoffbranche ist in Bewegung und die Sicherung hochwertiger, also möglichst sauberer und sortenreiner Inputströme für das Recycling, sowohl im Preconsumerbereich, aber aufgrund der entsprechenden Recyclingvorgaben verstärkt auch im Postconsumerbereich, wird für die Unternehmen der Branche immer wichtiger. Dazu entstehen neue Allianzen, Joint Ventures und abwärts- als auch aufwärtsintegrierte Unternehmensstrukturen.

CT: Welche aktuellen Entwicklungen und Trends zeichnen sich laut Ihren Prognosen im Jahr 2024 im Bereich Kunststoff und Kreislaufwirtschaft ab, insbesondere im Kontext der Forschungsaktivitäten des IKT und IKK?

Weiterentwicklung der Recyclingprozesse zur Verbesserung der Rezyklatqualität

Bei den Forschungsaktivitäten des IKK stehen die Entwicklung Inputspezifischer Vorbehandlungsstrategien und die Integration der Analytik in die mechanischen Recyclingprozesse auf Basis modernster Recyclinganlagen im Vordergrund. Das Wort Strategie wurde hier bewusst gewählt, da es nahezu für alle Produkte außerhalb des Verpackungsbereiches noch überhaupt keine adaptierten Vorbehandlungsstrategien (Reinigungs- und Zerkleinerungsverfahren, Identifizierungs- und Separierungstechnologien, Festlegung der Trennkriterien, Reihenfolge der Prozessschritte und Parameter) gibt. Ein anschauliches Beispiel, mit dem wir uns in diesem Kontext befassen, ist die automobile Shredderleichtfraktion. An welcher Stelle wird zerkleinert und was ist die beste Partikelgröße? Wo, wie und wie oft wird gewaschen (Kalt- oder Heißwäsche, Nutzung von Tensiden)? Wann und wo wird (kaskadiert) nach Dichte und mit welchem Dichtetrennschnitt getrennt? Wo macht eine Trennung von Shredderbestandteilen nach Farbe oder Polymertyp am meisten Sinn etc. Gleiche oder Ähnliche Fragestellungen zur recyclingoptimierten Vorbehandlungsstrategie ergeben sich auch für nahezu alle anderen Kunststoff-Inputströme.

Ein ebenso wichtiger Forschungsschwerpunkt am IKK ist die Weiterentwicklung der mechanischen Recyclingprozesse selbst. Dazu werden verschiedene Ansätze innoviert, um die Qualität der Rezyklate bereits während des Prozesses zu maximieren. Als Kernprozess dienen meist modular aufgebaute, kaskadierte Recyclinganlagen mit hoher verfahrenstechnischer Flexibilität und einer umfangreichen In-line Reinigungstechnik (Spülgase, superkritisches CO2 als Stripping-Gas, Schmelzefilterkaskaden) sowie Inline Analytik (Farb- und Viskositätsmessung und -regelung, Analyse der Zusammensetzung der Schmelze und der Emissionen) zum Messen, Steuern und Regeln der Rezyklat-Qualität bereits während des Recyclingprozesses.

Parallel zur Erforschung effizienter Vorbehandlungsstrategien und der Innovierung der Recyclingverfahren erfolgt am IKK auch immer eine begleitende technische, ökonomische und ökologische Bewertung der resultierenden Materialien und Prozesse sowie eine Abschätzung der Skalierbarkeit. Das Ziel ist möglichst effiziente, nachhaltige und hochwertige Rezyklate auch bei schwer rezyklierbaren Inputströmen zu erzeugen, wobei die korrekte ökologische Bewertung der verschiedenen Recyclingverfahren und Recyclingprodukte noch eine wissenschaftliche Herausforderung ist.

Erforschung des Verhaltens von Kunststoffen und Biokunststoffen in der Umwelt

Darüber hinaus erforscht das IKK auch die Persistenz von Kunststoffen und das aquatische Abbauverhalten von Biokunststoffen unter verschiedenen Umgebungsbedingungen.

Material aus möglichst nachhaltiger Quelle länger im Kreislauf halten

Prof. Bonten und Prof. Endres sehen die Kunststoffindustrie im Wandel. Foto: Circular Technology

Das IKT mit seinem großen Aufbereitungstechnikum arbeitet klassischerweise auf dem Gebiet des schonenden Umschmelzens, also des mechanischen Recyclings. Es werden Polycarbonate erfolgreich mechanisch recycelt, um diese erneut in Lebensmittelkontaktanwendung zu bringen. Auch Biokunststoffe, die bekanntermaßen weniger thermisch stabil sind, werden auf ihre Recyclingfähigkeit hin systematisch überprüft und gezielt stabilisiert. Bevor die Recyclingfähigkeit der Biokunststoffe allerdings zum Tragen kommen muss, bleibt weiterhin die Reduzierung des Werkstoffeinsatzes, der zu präferierende Schritt.

In Stuttgart wir daher ebenfalls daran gearbeitet, biobasierte und bioabbaubare Werkstoffe für etablierte Verarbeitungstechnologien, wie zum Beispiel das Schäumen, zu ertüchtigen. Im Rahmen von langjährigen Forschungsarbeiten wurde umfangreiches Know-how der reaktiven Extrusion erarbeitet, mit dem die Schäumbarkeit von Bio-Kunststoffen gezielt eingestellt werden kann. Biobasierte Leichtbauwerkstoffe können neben dem Schäumen auch durch biobasierte Faserkunststoffverbunde hergestellt werden. Hierbei werden sowohl neuartige Matrixwerkstoffe als auch neuartige Faserwerkstoffe untersucht. Darüber hinaus werden zahlreiche verschiedene biobasierte Kunststoffe auf Ihre Langzeitbeständigkeit und Dauereinsatz in Automobil- sowie Elektroanwendungen hin geprüft.

Durch eine gelungene Kreislaufwirtschaft kann der unkontrollierte Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt reduziert werden. Dennoch betrachtet das IKT die Folgen, falls dies nicht vollständig gelingt. Hierzu wird an der Entwicklung neuer Methoden zur Identifikation und Quantifizierung von Kunststoffen in der Umwelt gearbeitet. Wie schnell die verschiedenen Kunststoffe dann in der Umwelt abbauen und welche Alterungsprozesse eine entscheidende Rolle spielen, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Das aus diesen Fragestellungen generierte Wissen wird genutzt, um (wo der Eintrag von Kunststoffen in die Umwelt nicht vermeidbar) nachhaltigere Lösungen aus Kunststoff zu entwickeln. In einem der Forschungsprojekte wird bspw. die erstmalige Erzeugung eines biobasierten (und stellenweise bioabbaubaren) Kunststoffrasenplatzsystems, mit denselben sporttechnischen und sportfunktionalen Eigenschaften wie herkömmliche Sportplätze, untersucht. Natürlich wird dabei durch ganzheitliche Ökobilanzierung der Projekte stets die Erhöhung der Nachhaltigkeit im Blick gehalten.

CT: In Anbetracht der dynamischen Veränderungen in der Kunststoff- und Kreislaufwirtschaftsbranche: Welche langfristigen Perspektiven und Herausforderungen sehen Sie für das Jahr 2024 und darüber hinaus, insbesondere in Bezug auf die Aktivitäten des IKT und IKK?

Kunststoffe sind für das tägliche Leben, unseren Lebensstandard und zukünftige Megatrends unverzichtbarer denn je. Gleichzeitig können wir mit Kunststoffen und Kunststoffprodukten aber nicht weiter so (linear) umgehen, wie wir das seit der Entdeckung der Kunststoffe vor mehr als 100 Jahren praktizieren. Für einen nachhaltigeren Umgang mit Kunststoffen gibt es mehrere Ansätze. Dazu gehören auf Feedstockebene die Nutzung von biogenen Kohlenstoffquellen, d.h. natürliche Rohstoffe oder organische Neben- und Abfallprodukte, das Recyceln der Kunststoffe, d.h. des petrochemischen oder biogenen Kohlenstoffs in verschiedenen End of Life Szenarios, oder die Nutzung von CO2 als Kohlenstoffquelle, um gar den Treibhauseffekt wieder umzukehren. Mit der Erforschung, Weiterentwicklung und ökologischen Bewertung dieser verschiedenen Maßnahmen kann und muss die Basis für eine Ent-Emotionalisierung und möglichst faktenbasierte politische Entscheidungen im Bereich der Kunststoffe und der Kunststoffkreislaufwirtschaft gelegt werden.

CT: Welche bedeutenden Veränderungen erwarten Sie in Bezug auf Gesetzgebung und regulatorische Rahmenbedingungen für die Kunststoffindustrie im Jahr 2024 und wie könnten diese Veränderungen die Geschäftsmodelle und Praktiken in der Branche beeinflussen?

Neben der Vorgabe von Quoten für einzelne Branchen, Produkte oder Werkstoffe gewinnen auch zunehmend die Nachhaltigkeitsbewertung der verschiedenen Kreislaufmaßnahmen sowie (neuentwickelte) Standards und Normen für Kunststoffrezyklate sowohl für die Gesetzgebung als auch die Recyclingwertschöpfungskreisläufe an Bedeutung. Langfristig gesehen, also weit über 2024 hinaus, wird eine europaweite Produktbesteuerung auf Basis von produktbasierten Ökobilanzen die nachhaltigsten Werkstoffe – und hier werden sich die recycelten Kunststoffe prächtig schlagen – finanziell begünstigen.

Bild ganz oben: Prof. Bonten (l.) und Prof. Endres im Gespräch über Kreislaufwirtschaft und Kunststoffe. Foto: Circular Technology

Von fil