PFAS – die Abkürzung steht für Per- und Polyfluorierte Alkylsubstanzen, eine Gruppe synthetischer Chemikalien, die in Regenjacken, Pizzakartons, Teflonpfannen und Kosmetikprodukten vorkommen. Doch der unsichtbare Nutzen hat einen immensen Preis: PFAS werden wegen ihrer chemischen Stabilität „Ewigkeitschemikalien“ genannt – sie bauen sich in der Umwelt kaum ab, reichern sich in Organismen an und sind potenziell hochgiftig. Aktuelle Enthüllungen des internationalen Rechercheverbands „The Forever Pollution Project“ rücken die gefährlichen Stoffe wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Eine Untersuchung des britischen Industrieverbandes Water UK hat ergeben, dass in 278 Wasserproben in England, Wales und Schottland Grenzwerte von mehr als 100 Nanogramm PFAS pro Liter überschritten wurden, wie etwa der Guardian berichtete. Die Funde sind alarmierend: Selbst kleinste Mengen dieser Substanzen stehen im Verdacht, Leberschäden, Hormonstörungen und verschiedene Krebsarten – darunter Nieren- und Hodenkrebs – zu verursachen. Besonders gefährlich sind sie für die Entwicklung von Kindern. Angesichts dieser Ergebnisse forderte Water UK ein vollständiges Verbot der Chemikalien und die Entwicklung eines nationalen Plans zur Entfernung von PFAS aus der Umwelt – finanziert durch die Unternehmen, die diese Stoffe herstellen.
Die Unsichtbarkeit des Problems
Für Umwelt- und GesundheitswissenschaftlerInnen sind diese Enthüllungen wenig überraschend. PFAS sind bereits seit Jahrzehnten ein globales Problem. Über 10.000 Chemikalien gehören zur PFAS-Familie, von denen viele in der Industrie und im Alltag nahezu unverzichtbar geworden sind. Ihre chemische Stabilität macht sie so attraktiv – aber auch so gefährlich: Sie bleiben über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte in der Umwelt bestehen, weshalb sie auch als „Forever Chemicals“ bezeichnet werden.
Die Reinigung von PFAS-belastetem Wasser, Böden und Luft ist technisch möglich, aber extrem teuer. Laut dem „Forever Pollution Project“ belaufen sich die Kosten für die Sanierung von PFAS-Schäden in 31 europäischen Ländern in den nächsten 20 Jahren auf rund zwei Billionen Euro – das entspricht 95 Milliarden Euro pro Jahr.
Die Macht der Lobby: Wie die Industrie Regulierung verhindert
Obwohl die Gefahren von PFAS seit Langem bekannt sind, stoßen Initiativen für strengere Regulierungen immer wieder auf massiven Widerstand. Das „Forever Pollution Project“ hat 1.200 Lobbyargumente analysiert, mit denen IndustrievertreterInnen versucht haben, strengere Gesetze zu verhindern. Das Urteil des Rechercheteams ist eindeutig: Die Kampagne der Chemiekonzerne sei „irreführend, übertrieben und unlauter“.
Ein besonders brisantes Beispiel ist die häufig zitierte Behauptung, dass bestimmte PFAS, sogenannte Fluorpolymere, „Polymers of Low Concern“ (PLC) seien – also als unbedenklich gelten. Diese Argumentation basiert auf zwei Studien, die von IndustrievertreterInnen oder BeraterInnen verfasst wurden. Doch ein wesentlicher Aspekt wurde verschwiegen: Die angeblichen „PLC-Kriterien“, auf die sich die Industrie beruft, existieren gar nicht. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, stellte gegenüber dem Rechercheteam klar, dass „kein vereinbarter Kriteriensatz auf OECD-Ebene existiert“ und dass „keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt wurde“.
Trotz solcher offenkundiger Falschaussagen scheinen die Argumente der Lobbyisten auf politische EntscheidungsträgerInnen Wirkung zu zeigen. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich im vergangenen September gegen ein „undifferenziertes Totalverbot“ von PFAS aus, während das Bundeswirtschaftsministerium auf Nachfrage des Rechercheverbands zunächst auf die nicht existierenden OECD-Kriterien verwies.
Politische Untätigkeit: EU-Regulierung bleibt aus
Bereits Anfang 2023 hatte Deutschland zusammen mit Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden einen Vorschlag eingebracht, die Nutzung von PFAS in der EU massiv zu beschränken. Doch die Debatte hat bisher zu keiner konkreten Entscheidung geführt. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, hatte zu Beginn ihrer Amtszeit eine umfassende Reform der EU-Chemikalienverordnung REACH versprochen. Ein Gesetzesvorschlag dazu wurde jedoch bis heute nicht vorgelegt. Die neue Umweltkommissarin Jessika Roswall kündigte lediglich an, die Verordnung „zu vereinfachen“ – ohne konkrete Schritte zu nennen.
Forderung nach Komplettverbot
Umwelt- und VerbraucherschützerInnen fordern seit Jahren ein umfassendes Verbot aller PFAS-Chemikalien, da die Langzeitrisiken für Umwelt und Gesundheit unverhältnismäßig hoch sind. Das Problem dabei: Die Stoffe sind in zahllosen Produkten und Industrieprozessen enthalten. Ein Verbot würde tief in die Produktionsketten eingreifen und umfassende technologische Innovationen erfordern, was wiederum enorme Investitionen seitens der Unternehmen bedeutet.
Gleichzeitig zeigt sich, dass wirtschaftliche Interessen häufig über den Schutz der Umwelt gestellt werden. Die Lobbymacht der Chemieindustrie und die politische Zurückhaltung verdeutlichen, wie weit die Regulierung dieser Stoffe noch entfernt ist – trotz der wissenschaftlich belegten Gefahren und der enormen Umweltkosten.
Eine tickende Zeitbombe
PFAS sind das Paradebeispiel einer Umweltkrise, die von der Industrie verursacht, aber von der Gesellschaft getragen wird. Die Belastung von Trinkwasser, Böden und Luft hat nicht nur gesundheitliche Konsequenzen, sondern auch gigantische finanzielle Auswirkungen. Doch die Regulierung dieser „Ewigkeitschemikalien“ wird weiterhin durch irreführende Lobbykampagnen und politische Untätigkeit blockiert. Ohne ein radikales Umdenken in der Politik und der Industrie bleiben PFAS eine tickende Zeitbombe – mit langfristigen Folgen für die Umwelt, die Gesundheit und die globale Wirtschaft.
Bild oben: Lobbyismus verzögert einen angemessenen Umgang mit PFAS. Abbildung: Circular Technology mit DALL-E