Das Kunststoffkolloquium des IKV gehört zu den bedeutsamsten und traditionsreichsten seiner Art. Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann und Prof. Dr. rer. nat. Rainer Dahlmann, wissenschaftlicher Direktor Kreislaufwirtschaft des Instituts gaben am Rande der Veranstaltung Circular Technology einen Einblick in die aktuelle Situation. Die Experten sehen die Lage schwierig aber nicht aussichtslos und betonen die große Bedeutung von Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit. Außerdem erklären die beiden Professoren, woran es im Moment hakt und wie es in Zukunft wieder besser laufen könnte. Insbesondere fordern sie weniger Bürokratie und mehr Entschlossenheit.
Circular Technology: Wie bewerten Sie das zu Ende gegangene 32. IKV-Kolloquium?
Prof. Hopmann: Das 32. Kolloquium war ein „Krisenkolloquium“. Im Vorlauf klagten bereits zahlreiche Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftszweigen über schwache Nachfrage, hohe Kosten, mangelnde Planungssicherheit und viele andere Themen, die ihnen das Leben derzeit schwermachen. Die Lage war also schwierig und die Stimmung spürbar schlecht. Wir wollten dem mit unserem Kolloquium etwas entgegensetzen.
Nun kann das Kolloquium die Lage nicht verändern, aber wir konnten doch aufzeigen, dass es Grund gibt, an die Zukunft zu glauben. Und ich hatte durchaus den Eindruck, dass es für viele Besucher wichtig war, sich aus dem Tagesgeschäft zu lösen, in die langfristigen Themen einzutauchen, über Forschung und Innovation zu diskutieren und die vielen Nachwuchskräfte zu sehen, die voller Begeisterung und Elan ihre Arbeiten und ihre Versuchsstände vorstellen. Für uns war es großartig, 600 Gäste im Konferenzzentrum und auch im IKV, in unseren Laboren und Technika, in Diskussionen zu den entscheidenden Zukunftsthemen der Branche einzubeziehen. Insofern ist es ein lebendiges und intensives, wenngleich nicht ausgelassenes Kolloquium gewesen.
Corona wirkt noch nach
Prof. Dahlmann: Dieses Kolloquium fand unter mindestens zwei besonderen Rahmenbedingungen statt. Das ist erstens die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate, die nur bedingt eine Innovationsfreudigkeit in den Unternehmen aufkommen lässt. Zweitens ist dies das erste reguläre Kolloquium nach Ende der Coronamaßnahmen gewesen, die generell immer noch starke Nachwirkungen auf die Teilnahmebereitschaft an Kongressen und Fachtagungen haben.
Dies mündet darin, dass die Teilnehmerzahlen nicht ganz auf dem Niveau waren, das wir uns gewünscht hätten. Ein positives Gegengewicht dazu bildete die Tatsache, dass die Gespräche auf dem Kolloquium sehr positiv geprägt und mit einer merklichen Freude unterlegt waren. Der Wille, Dinge in der Kunststofftechnik voranzutreiben, ist sehr deutlich spürbar – und das nehmen wie auch im Nachgang noch wahr. Wir haben sehr viele Gespräche geführt, insbesondere auch in den Laboren am Mittwochnachmittag („IKV 360° – Forschung live“), die uns begründet vermuten lassen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der wirtschaftliche Motor wieder anspringt. Uns hat das gefreut!
Multidimensionale Problemlage erfordert Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft
CT: Welche Themen haben in den vergangenen zwei Jahren an Bedeutung gewonnen, was ist weniger wichtig geworden?
Prof. Hopmann: Es gibt zwei Themen die uns besonders bewegen: die Etablierung einer Kunststoff-Kreislaufwirtschaft und die Digitalisierung. Wir brauchen die Kreislaufwirtschaft, um unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, und die Digitalisierung für unsere Wettbewerbsfähigkeit und als Antwort auf den Fachkräftemangel. Selbstverständlich bleibt der Leichtbau als Kernkompetenz und Dauerthema bestehen, und auch die Additive Fertigung hat sich nun zu einer ausgereiften Technologie entwickelt, die vielfach in der Anwendung ist und noch beträchtliches Potenzial bietet. Gleichwohl bin ich dankbar, dass sich der Hype um die Additive Fertigung gelegt hat und realistischere Erwartungen an ihre Möglichkeiten in den Vordergrund gerückt sind, anstelle von überzogenen Vorstellungen.
Prof. Dahlmann: Nach meiner Erfahrung werden Themen in F&E mittelfristig nur dadurch weniger wichtig, dass ein technisches Problem endgültig gelöst ist, oder dass andere Themen sie verdrängen. Letzteres tritt wesentlich häufiger ein. Ein Blick auf die Leitthemen des IKV und die Plenarvorträge des Kolloquiums erlaubt dabei eine nach meinem Erachten gesunde Einschätzung.
Die Notwendigkeit zur Kreislaufführung ist dabei sicherlich bei allen Expertinnen und Experten angekommen. Welche Bedeutung nicht-fossile Rohstoffe hierbei spielen können, wurde im Plenarvortrag von Dr. Bussmann deutlich gemacht und diskutiert. Die Digitalisierung stellt zum Erlangen einer Kreislaufführung in vielen Facetten ein bedeutendes, nicht wegzudenkendes Werkzeug dar.
Allerdings wird sie für die deutsche Kunststoffindustrie auch darüber hinaus eine sehr große Bedeutung haben. Prof. Hopmann hat das in seinem Plenarvortrag sehr deutlich gemacht, indem er resümierte, dass sich auf Basis der Digitalisierung eine Fülle von Geschäftsmodellen für die Kunststoffindustrie aufbauen lässt. Dies allerdings muss noch stärker in der Industrie verankert werden. Zu guter Letzt ist durch Prof. Eckstein unter anderem der Fachkräftemangel benannt worden, der inzwischen auch die Kunststoffindustrie erreicht hat. Die sinkenden Studierendenzahlen, wie Prof. Hopmann berichtete, müssen Anlass geben, dass wir alle tätig werden, um junge Leute für technische Arbeitsfelder zu begeistern und zu gewinnen.
Das richtige fördern
CT: Wie können wir Forschungsergebnisse noch schneller in Unternehmen nutzen?
Prof. Dahlmann: Das Kolloquium ist ja zunächst einmal nur ein Format, in dem wir Forschungsergebnisse präsentieren und zur Diskussion stellen. Es zeigt dabei nahezu die ganze Breite der Forschung am Institut. Wenn es Unternehmen darum geht Forschungsergebnisse schneller nutzen zu wollen, gibt es natürlich noch andere Formate wie die wesentlich themenspezifischeren Fachtagungen am IKV, in denen vor allem auch einschlägige Experten und Expertinnen aus Unternehmen zu Worte kommen. Dort kommt man automatisch in Kontakt mit Personen, die bei den eigenen Belangen weiterhelfen. Über diese Formate hinaus gibt es aber auch weitere „Beschleuniger“: Das sind bilaterale, exklusive Projektformen oder Projektformen, bei denen ganze Konsortien gemeinsame Interessen verfolgen, wie beispielsweise in unserem Gemeinschaftsforschungsprojekt zur Wasserstofftechnologie. Natürlich erfordern diese Projektformen auch das Engagement der Unternehmen. Dann lassen sich gemeinsam Entwicklungen tätigen oder Forschungsergebnisse aus der (Grundlagen-)Forschung speziell auf die Bedarfe der Unternehmen adaptieren. Schneller geht es nicht.
Allerdings muss bei alledem berücksichtigt werden: Der Transfer von Forschungsergebnissen in eine industrielle Praxis basiert zum großen Teil auf öffentlich geförderten Forschungsprojekten, in denen die Grundlagen dazu erarbeitet werden können. Insbesondere bei den thematisch gebundenen Förderungen, wie sie beispielsweise von den Bundesministerien bevorzugt werden, müssen dazu natürlich von der Regierung auch die entsprechenden Förderprogramme ausgerufen werden. Das ist momentan etwas schmal ausgebildet.
Agiler, innovativer und entschlossener
Prof. Hopmann: Was wir ganz klar brauchen, ist eine größere Agilität, einen stärkeren Willen zur echten Innovation sowie erhöhte Ausdauer und Entschlossenheit. In meinem Plenarvortrag habe ich auf Studien verwiesen, die zeigen, dass Deutschland hinsichtlich der Aus- und Weiterbildung, seiner Talente und in der Forschung gut aufgestellt ist. Dennoch mangelt es unserer Gesellschaft an Offenheit für Veränderungen und Anpassungen an neue Rahmenbedingungen, denn die Beharrungskräfte sind oftmals zur groß. Wir neigen dazu, überall Risiken zu sehen, aber kaum Chancen wahrzunehmen. Die Diskussion um KI und ChatGPT ist ein gutes Beispiel dafür. Es ist wichtig, sich mit den Risiken und der Regulierung dieser Technologien auseinanderzusetzen, jedoch darf man nicht vergessen, dass sie auch großartige Geschäftsmöglichkeiten bieten. Oftmals fehlt es hier an der richtigen Balance.
CT: Beeinflusst Bürokratie die Umsetzung der Rezyklatnutzung?
Prof. Dahlmann: Dieses Thema umfassend zu behandeln, sprengt hier sicherlich den Rahmen. Aber in aller Kürze: Ja, das ist ganz sicher der Fall. Aber das ist auch nicht generell falsch, denn es muss sichergestellt werden, dass durch die Nutzung von Rezyklaten keine Gefährdung ausgelöst wird.
Potentiell ist dadurch eine Gefahr gegeben, dass im Rezyklat Kontaminationen mit einem relativ breiten Spektrum vorhanden sein können, je nach dem, aus welcher Nutzung die Altkunststoffe stammten. Sensibel wird das Thema insbesondere, wenn aus Rezyklaten Produkte gefertigt werden, die in den direkten Kontakt mit Lebensmitteln, Pharmazieprodukten oder Kosmetika kommen. Dies betrifft vor allem Verpackungen.
Der Übergang von Fremdstoffen in das Füllgut durch Migration muss unterbunden werden. Dazu sind Regularien unbedingt erforderlich, die festlegen, was zu tun ist, um eine Unbedenklichkeit nachzuweisen. Die EU hat hierzu Regularien erlassen, die dies sicherstellen, allerdings sind die erforderlichen Untersuchungen schwer durchschaubar, komplex, langwierig und aufwendig, so dass es vor allem klein- und mittelständischen Unternehmen nicht leicht gemacht wird, Rezyklate in neuen Produkten einzusetzen. Das hemmt den realen Rezyklateinsatz natürlich zusätzlich. Hier wäre es dienlich, die erforderlichen Prozeduren klarer zu formulieren und den Zulassungsprozess deutlich zu beschleunigen. Für die technische Prüfung der Leistungsfähigkeit eines Aufbereitungsschritts von Rezyklaten haben wir bereits Methoden entwickelt, die aussagekräftige Ergebnisse liefern. Das ist zumindest schon mal ein wichtiger Baustein.
Bürokratie soll lenken und nicht zum Selbstzweck werden
Prof. Hopmann: Die Bürokratie hat sich teilweise von ihrer ursprünglichen unterstützenden Funktion zu einem Selbstzweck entwickelt, der sich über alle anderen Belange erhebt. Es ist noch nicht lange her, da musste ein Forschungsantrag fachlich-inhaltlich stimmig und exzellent sein. Heute muss er das auch, zusätzlich müssen jedoch zahlreiche Nebenaspekte beachtet werden: Wie sind die Richtlinien zur Verwaltung von Forschungsdaten? Welche Maßnahmen werden im Projekt zur Förderung der Geschlechtergleichstellung ergriffen? Welche Nachhaltigkeitsziele werden durch das Projekt unterstützt? Wie viele Veröffentlichungen werden aus dem Projekt resultieren? Und so weiter.
Darüber hinaus müssen für jede Beschaffung sechs Vergleichsangebote eingeholt werden, und die Studiendokumente müssen achtfach original unterschrieben sein. Diese Kurzliste veranschaulicht einen kleinen Teil unseres Alltags, der von einem Regelwerk geprägt ist, mit dem sich Institutionen absichern möchten. Mit Bürokratie kann man wunderbar einen Status Quo zementieren, aber keine Zukunft gestalten. In dieser Hinsicht können wir uns als ein Land der Zementmischer betrachten.
Bild ganz oben: Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann (links) und Prof. Dr. rer. nat. Rainer Dahlmann sprachen mit Circular Technology auf dem IKV-Kolloquium in Aachen. Foto: Circular Technology