Prof. Helmut Maurer arbeitete bis Juli 2022 als Hauptverwaltungsrat und Senior Expert bei der Europäischen Kommission in Brüssel in den Bereichen Chemiepolitik und Kreislaufwirtschaft und zählt zu den fundiertesten Experten im Bereich der Regulatorik und politischen Strategie für die Kreislaufwirtschaft mit Kunststoff. In einem Gastbeitrag ordnet Prof. Maurer die aktuelle Kunststoffsteuer ein.

Deutschland zahlt jedes Jahr Milliarden für Kunststoffabfälle an die EU. Foto: Pixabay/geralt

Seit 2021 zahlt die Bundesrepublik Deutschland eine Abgabe in den EU-Haushalt, die sich nach der Menge nicht recycelter Kunststoffe bemisst.  Die Zahlung wurde bisher aus deutschen Haushaltsmitteln geleistet und soll nun nach dem Verursacherprinzip auf die Inverkehrbringer von Kunststoffverpackungen umgelegt werden. Am 13. Dezember 2023 wurden die Pläne der Regierung vorgestellt, wie sie die Quadratur des Kreises bewältigen will: Einerseits das Votum des Bundesverfassungsgerichts zur nicht rechtskonformen Umwidmung von Haushaltsmitteln zu respektieren und umzusetzen und andererseits eines der Kernprojekte der Koalition, den Klima- und Transformationsfonds für den klimaneutralen Umbau Deutschlands, ausreichend finanziell auszustatten. Die Weitergabe der Abgabe für nicht recycelte Plastikverpackungen an die Kunststoffindustrie in Form einer neuen Plastikabgabe ist ein Baustein von vielen. Dabei ist zu beachten, dass es hier um eine zusätzliche Abgabe geht, für welche derzeit eine gesetzliche Grundlage erarbeitet wird, und welche zu dem bereits in Kraft getretenen EinwegkunststofffondG vom 15.3.2023 hinzutritt.

Rechtlicher Hintergrund – klimapolitisch begründet

Die Abgabe für nicht recycelte Kunststoffverpackungen beruht auf dem EU-Eigenmittelbeschluss (EU, Euratom) 2020/2053 vom 14.12.2020 [1] über den Mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021-2027. Rechtspolitischer Hintergrund war vor allem die Notwendigkeit der Gegenfinanzierung des von der EU im Mai 2020 zur Bewältigung der Covid 19 Krise beschlossenen „Next Generation EU“ Pakets mit einem Finanzierungsvolumen von 740 Milliarden Euro. Anders als von Verbandsvertretern der Kunststoffverpackungsindustrie in sozialen Medien behauptet, hat die Maßnahme nichts mit der Bewältigung des Austritts Großbritanniens aus der EU zu tun. Dies lässt sich den Begründungserwägungen des Beschlusses deutlich entnehmen, in dem von BREXIT nicht die Rede ist.

Am allerwenigsten handelt es sich um eine willkürliche, aus der Luft gegriffene Maßnahme, die sich vor allem gegen die Plastikverpackungsindustrie richten würde, wie in den sozialen Medien von einem Verbandsvertreter fälschlich und populistisch behauptet, sondern um eine Maßnahme, die Umwelt- und vor allem Klimapolitisch begründet ist.

Derzeit zahlt Deutschland jährlich 1,4 Mrd EUR

Die Abgabe wird – wie die anderen Beiträge zum EU-Haushalt – ab dem 1. Januar 2021 von den Mitgliedstaaten aus Haushaltsmitteln entrichtet und beträgt 800 Euro pro Tonne nicht recycelter Plastikverpackungsabfälle. Deutschland als gegenwärtig größter Verursacher trug zuletzt mit 1,4 Milliarden Euro den Löwenanteil der Abgabe. Dabei kann sich diese Abgabe auf null reduzieren, falls alle anfallenden Plastikverpackungsabfälle recycelt werden. Diese Verknüpfung des Verschmutzungsanteils mit den zu leistenden Zahlungen zeigt, dass es sich bei der Abgabe vor allem um ein umweltpolitisches Instrument handelt: In den Schlussfolgerungen des Rates (der im Rat repräsentierten Vertreter der Mitgliedstaaten) in seiner außerordentlichen Sitzung vom 17. bis 21. Juli 2020 wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit verwiesen, eine klare Verknüpfung zwischen haushaltspolitischen Maßnahmen und der effektiven Umsetzungen von Politiken, insbesondere Zielen der Umweltpolitik und des Klimaschutzes, herzustellen.[2] In Zukunft ist beabsichtigt, auch weitere neue Eigenmittel, wie die Einnahmen aus dem European Emission Trading Scheme (ETS) und des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) in die Eigenmittel der EU zu überführen. Auch diese künftigen Einnahmen dienen der Verfolgung vor allem umweltpolitischer Zwecke, in dem sie ermöglichen, den Klimawandel durch Senkung von CO2 Emissionen durch die Finanzierung entsprechender Maßnahmen zu bekämpfen.

Zunächst wurden von Deutschland, wie in beinahe allen Mitgliedstaaten, die errechneten Beträge aus den an die Kommission gemeldeten, nicht recycelten Plastikverpackungen aus den allgemeinen Haushalten der Mitgliedstaaten überwiesen. Wie sich dem Ratsbeschluss aber unzweideutig entnehmen lässt, war die Erwartung, und deshalb ist es letztlich eine umweltpolitische Maßnahme, dass die Mitgliedstaaten letztlich, in Durchsetzung des umweltrechtlichen Verursacherprinzips (polluter pays principle), die Abgabe an die Inverkehrbringer von Kunststoffverpackungen weitergeben würden.

Lenkungswirkung bisher verhindert

Beabsichtigt war so, eine Lenkungswirkung im Sinne einer Vielzahl von teils schon älteren Kommissionsinitiativen, wie dem Grünbuch zu Kunststoffen in der Umwelt 2013, der 2018 vorgelegten Plastikstrategie, der von den Mitgliedstaaten 2019 beschlossenen Richtlinie über Einmalkunststoffe (SUP-Richtlinie), den Umweltaktionsplänen der Kommission von 2015 und 2020 sowie dem European Green Deal von 2019, eine effektive Reduktion von Abfällen aus Verpackungskunststoffen, zu erzielen und Wiederverwendung und Recycling zu fördern.

Es ist offensichtlich, dass Verhaltensänderungen durch finanzielle Anreize wirksamer erreicht werden können als durch Verbote. Dadurch, dass die Abgabe für nicht recycelte Kunststoffverpackungen, insbesondere auch gewerbliche Kunststoffverpackungen, auf null reduziert werden kann, entsteht ein finanzieller Anreiz, eine effektive Minderung des Umlaufs kurzlebiger Kunststoffeinwegverpackungen zu erzielen. Hersteller in Kooperation mit den Inverkehrbringern solcher Verpackungen, haben es in der Hand durch effektives Design, ein effektives mechanisches Recycling zu ermöglichen, und so die Menge nicht recycelter Kunststoffverpackungen zu reduzieren. Ein in diesem Sinne geeignetes Mittel ist es, der Logik der seit Jahren etablierten Regeln zur erweiterten Herstellerverantwortung folgend, zusätzliche finanzielle Anreize durch Überbürden vermeidbarer Beiträge, die sich aus der Menge nicht recycelter Kunststoffverpackungen ergeben, zu setzen.

Diesen Schritt hat die Koalition, wie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, nun vollzogen. Andere Mitgliedstaaten wie Spanien und Portugal haben es bereits vorgemacht und die auf sie für nicht recycelte Kunststoffverpackungsabfälle entfallenden Kosten auf die Industrie abgewälzt. In einer Anzahl anderer Mitgliedstaaten werden entsprechende Maßnahmen diskutiert.

Plastiksteuer ist Teil eines Maßnahmenpakets

Um die umweltpolitische Qualität dieser Maßnahme einordnen zu können, sollte die Plastiksteuer als Teil eines ganzen Bündels von Vorhaben im Rahmen der EU-Plastikstrategie betrachtet werden. Für einen Bezug der Plastiksteuer zur Plastikstrategie (der oft negiert wird) spricht das zeitliche Zusammentreffen beider Initiativen: Im Mai 2018 schlug die EU-Kommission die Plastiksteuer vor, nur vier Monate zuvor hatte sie ihre Plastikstrategie vorgestellt. Diese sieht vor, bis 2030 alle Kunststoffverpackungen so zu gestalten, dass sie recycelbar oder wiederverwendbar sind, der Eintrag von Mikroplastik und der Verbrauch von Einwegplastikprodukten sollen minimiert werden. 2019 folgte die Richtlinie 2019/904 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt[3].

Die Kunststoffverpackungsindustrie verfolgte die Entstehung des Richtlinienvorschlags mindestens seit 2018. Die Richtlinie verweist in ihrer ersten Begründungserwägung auf die EU-Strategie für Kunststoffe als einen Schritt hin zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft, in der bei der Gestaltung und Herstellung von Kunststoffen und Kunststoffprodukten den Erfordernissen in Bezug auf Wiederverwendung, Reparatur und Recycling in vollem Umfang Rechnung getragen wird. Auch hier zeigt sich, dass die EU eine kohärente Kunststoffstrategie entwickelt hat, die den Mitgliedstaaten Anstrengungen abverlangt, um zu verhindern, dass Kunststoffe nicht recycelt werden. Recyclingquoten und Apelle haben bisher nicht ausgereicht, um dieses Ziel zu verwirklichen. Daher ist der Einsatz finanzieller Instrumente zu seiner Verwirklichung nur folgerichtig und er lässt den Akteuren zugleich Spielräume kooperativ und innovativ die Lage zu verbessern.

In Umsetzung der Kunststoffstrategie ist mittlerweile ein Konglomerat an Normen entstanden, unter denen vor allem die Regelungen im deutschen Verpackungsgesetz sowie die aus der Umsetzung der Einwegkunststoffrichtlinie in Deutschland entstandenen Rechtsakte der EinwegkunststoffverbotsVO und das EinwegkunststofffondG, welches die Produktverantwortung der Hersteller von Einwegkunststoffprodukten regelt, hervorstechen.

Möglichst wenig Kunststoffabfälle – möglichst viel Recycling

Zukunft: Mit einer nun bald neu hinzutretenden Regelung zu Überbürdung der auf Deutschland entfallenden Abgabe für nicht recycelte Kunststoffverpackungen tritt ein neues Instrument hinzu, welches die Kunststoffverpackungsindustrie anregen wird, zur Vermeidung von Kosten, alle Kunststoffverpackungen möglichst so zu designen, dass sie nicht nur an sich recyclebar sind, sondern auch auf ökonomische Weise recycelt werden können. Die ökonomisch tragfähige Recyclingfähigkeit steht künftig im Vordergrund.

Dies kann dazu führen, dass neuere Entwicklungen wie die scheinbar ressourceneffizienten aber nicht ökonomisch recycelbaren Kunststofffolien, die zum Teil aus bis zu 12 oder mehr verschiedenen Polymeren bestehen, keinen finanziellen Gewinn mehr versprechen. Die schon lange diskutierte verstärkte Nutzung von Monomaterialien kann Auftrieb erhalten, ein Verzicht auf besondere Einfärbungen, insbesondere schwarze Kunststoffverpackungen, die Vermeidung bestimmter Polymere, die umweltbedenkliche Additive enthalten, kann dem bisher schon erfolgreichen mechanischen Recycling neuen Auftrieb geben und die Kaskadennutzung von Verpackungskunststoffen deutlich verbessern. Auf diesem Weg kann außerdem in erheblichem Umfang CO2 eingespart werden und die Wirtschaftlichkeit der Kunststoffnutzung für Verpackungen kann deutlich erhöht werden.

„Weiter so, wie bisher“ muss teurer werden

Ganz entscheidend ist auch, dass wirtschaftliche Instrumente, wie eine Abgabe auf nicht recycelte Kunststoffverpackungen durch gezielte Verteuerung eines „weiter so wie bisher“, ein erhebliches Innovationspotential freisetzen können. Aus diesem Grund sollte die Kunststoffverpackungsindustrie in den zu erwartenden Regelungen eher einen Weckruf und eine echte Chance sehen. Es geht jetzt darum zu zeigen, dass es auch anders geht. Dies kann unter anderem zur Entwicklung integrierter Systeme aus Mehrwegkunststoffverpackungen, dem verstärkten Einsatz von kompostierbaren Bio-Kunststoffen, der Entwicklung neuer nicht-toxischer sicher zu recycelnder Materialien, der verstärkten Nutzung von maschinenlesbaren Markierungsystemen, welche eine optimierte und automatisierte sortenreine Trennung von Kunststoffverpackungsabfällen ermöglichen, führen.

Derartige Systeme sind bereits als Fluoreszenzmarkersysteme voll entwickelt und könnten nach minimaler technischer Anpassung der Sortiertechnik sofort eingesetzt werden. Mit solchen Mitteln ist es sogar möglich, einem bestimmten Hersteller sein von ihm hergestelltes Material zuzuordnen. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, dass Hersteller wirtschaftlichen Gewinn daraus generieren könnten, dass sie exklusiv den Zugriff auf ihr Material erhalten, um dieses mechanisch zu recyceln und zu geringeren Kosten wieder einzusetzen. Jedenfalls wäre dies außerhalb der Nahrungsmittelverpackungen eine realistische Perspektive.

Ein besseres Design von Kunststoffverpackungen könnte die Wirtschaftlichkeit mechanischen Recyclings sowie die Menge zu recycelnder Plastikverpackungskunststoffe sehr deutlich erhöhen und neu hinzutretende Kapazitäten wirtschaftlich machen. Ein Ausweicheffekt auf schlecht zu recycelnde Ersatzmaterialien wie Papierverbundstoffe, ist durch zusätzliche regulatorische Maßnahmen wirksam zu verhindern. Die Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister erfüllt hier zwar eine sehr wichtige Funktion, doch wären insoweit Nachbesserungen von Nöten.

Die Plastikabgabe wurde nun auf Anfang 2025 verschoben, aber verschoben ist nicht aufgehoben. Es ist daher jetzt an der Zeit, mit den Inverkehrbringern, Verbänden, Herstellern und Recyclern intensiv zu diskutieren, wie Produktdesign und Verfahren so geändert werden können, dass möglichst keine unrecycelten Plastikverpackungsabfälle mehr anfallen und damit die Abgabe auf null gesetzt werden kann. Damit wäre eine Menge gewonnen.

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32020D2053

[2] https://www.consilium.europa.eu/media/45136/210720-euco-final-conclusions-de.pdf

[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0904&from=EN

Bild ganz oben: Prof. Dr. Helmut Maurer hatte bis 2015 eine Professur für Europarecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Georg Simon Ohm Technische Hochschule Nürnberg inne und arbeitete bis Juli 2022 als Hauptverwaltungsrat und Senior Expert bei der Europäischen Kommission in Brüssel in den Bereichen Chemiepolitik und Kreislaufwirtschaft. Seit seinem Eintritt in den Ruhestand ist er wieder als selbständiger Anwalt tätig. Foto: privat

 

Von fil