Licht setzt eine Kettenreaktion in Gang, die für Viren tödlich endet: Ein Forschungsteam vom Fraunhofer IPA hat zusammen mit Partnern aus der Industrie antimikrobielle und selbstreinigende Wandfarben entwickelt. Ihre Wirkung ist zeitlich unbegrenzt und Umweltschäden sind nicht zu befürchten.
Virologen sind sich einig: Die nächste Pandemie wird kommen. Fraglich ist nur, wann. Antimikrobielle Wandfarben und Beschichtungen könnten das Infektionsrisiko in Krankenhäusern und öffentlichen Einrichtungen mindern. Doch bisher haben sie zwei gravierende Nachteile: Einerseits erlischt ihre Wirkung nach einer gewissen Zeit. Die Oberflächen geben beständig sogenannte Aktivsubstanzen ab. Das sind metallische Ionen, Nanopartikel aus Silber oder organische Stoffe, die Viren angreifen und abtöten. Doch irgendwann sind die Speicher leer, alle Aktivsubstanzen verbraucht. Die Oberfläche verliert ihre antimikrobielle Eigenschaft.
Andererseits geben antimikrobielle Oberflächen ihre Aktivsubstanzen an die Umwelt ab. Besonders Silber-Ionen und Silber-Nanopartikel können das Mikrobiom im Erdboden, Algen und andere Lebewesen in und am Wasser schädigen.
Langzeittests zeigen: Keine Keime nachweisbar
Einem Forschungsteam um Christina Bauder vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA ist es nun gelungen, antimikrobielle Wandfarben zu entwickeln, die dauerhaft wirksam sind und keine Substanzen an die Umwelt abgeben. „Für einen zeitlich unbegrenzten antimikrobiellen Effekt darf die Aktivsubstanz nicht selbst an einer chemischen Reaktion beteiligt sein und dabei verbraucht werden“, sagt Bauder, Leiterin des Forschungsteams Lackchemische Anwendungstechnik am Fraunhofer IPA. Die Forscherin setzt deshalb auf die sogenannte Photokatalyse, also auf eine chemische Kettenreaktion, die unter Lichteinwirkung nie endet und sich unendlich oft wiederholen lässt.
Angestoßen wird die Photokatalyse von Sonnenlicht oder einer künstlichen Lichtquelle. Sie kann daher auch bei Innenraumbeleuchtung stattfinden. Das Licht versetzt den Halbleiter Titandioxid in einen angeregten Zustand. Dabei überträgt das Titandioxid die empfangene Lichtenergie auf Wasser- und Sauerstoffmoleküle in der Luft. Sie reagieren zu instabilen Radikalen. Diese Radikale reagieren bei Kontakt mit Viren mit deren Außenhaut und zerstören sie dabei. Die Viren sterben ab. Bei Dunkelheit kommt die Photokatalyse allmählich zum Erliegen. Das bisher so rege Titandioxid verfällt in seinen inaktiven Ursprungszustand – bis die Kettenreaktion durch Licht erneut in Gang gesetzt wird.
Bei Feldversuchen hat das Forschungsteam um Bauder Wände in zwei Kliniken und einem Kindergarten mit seinen neu entwickelten antimikrobiellen Farben gestrichen. In regelmäßigen Abständen nahmen die Forscherinnen und Forscher mit Tupfern Proben von den Wänden und kultivierten sie auf einem Nährboden in einer Petrischale. Im Labor waren jeweils keine Keime nachweisbar.
Flecken verschwinden wie von Zauberhand
Aber nicht nur Viren fallen der Photokatalyse zum Opfer, sondern auch Schmutzpartikel. Bei Untersuchungen wurden Teststreifen der Wandfarben mit Blut, Rotwein, Senf, Kaffee und schwarzer Schuhcreme kontaminiert. Nach fünf beziehungsweise 30 Minuten Einwirkdauer ließen sich die meisten Flecken mit einmaligem Wischen beseitigen und hinterließen kaum Rückstände. Nach einer Woche waren die meisten Verunreinigungen entweder von selbst verschwunden oder kaum noch zu sehen.
Die antimikrobiellen Wandfarben hat das Projektteam, zu dem auch Mitarbeitende der Firmen Griwecolor aus Döggingen und IBT Deutschland aus Baienfurt gehörten, im Forschungsprojekt „Innenraumbeschichtungen mit antiviraler Wirkung durch den Einsatz von im sichtbaren Bereich aktivierbaren, photokatalytisch aktiven Beschichtungen mit hoher Langzeitbeständigkeit“ (InVisiBL) entwickelt. Zur Untersuchung ihrer antiviralen und antimikrobiellen Wirkung hat das Mikrobiologische Labor Dr. Michael Lohmeyer in Münster Verfahren entwickelt und die Wirksamkeit der neuen Beschichtung bestätigt. Die Feldversuche wurden im katholischen Kindergarten St. Marien in Döggingen, in der Oberschwabenklinik in Ravensburg und im Kantonsspital Graubünden in Chur durchgeführt.
Unterstützt wurde das Forschungsprojekt InVisiBL durch das Förderprogramm Invest BW des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg.
Bild oben: Feldversuch in einem Kindergarten in Döggingen: In regelmäßigen Abständen nahmen die Forscherinnen und Forscher mit Tupfern Proben von den Wänden und kultivierten sie auf einem Nährboden in einer Petrischale. Im Labor waren jeweils keine Keime nachweisbar. Foto: Xenia Happle/Griwecolor