Das Recycling von Windkraftanlagen ist seit Jahren ein viel diskutiertes Thema in Politik und Industrie. Nicht ganz ohne Grund: Der europäische Windenergieverband Wind Europe schätzt, dass allein bis 2023 europaweit 14.000 Rotorblätter von Windkraftanlagen recycelt oder wiederverwertet werden müssen.  Ökologisch und ökonomisch vertretbare Entsorgungslösungen müssen her. Ein Beispiel: das Start-up Wings for Living. Hier werden ausgediente Rotorblätter zu eleganten Outdoor-Möbeln aufgewertet.
Stand heute können 80 bis 90 Prozent von ausgedienten Windrädern recycelt werden. Der aus Stahl bestehende Mast, der Generator, der Beton des Fundaments – all das kann bereits wiederverwendet oder -verwertet werden. Am Ende bleiben nur die Rotorblätter aus glasfaserverstärktem Kunststoff übrig. Ein Recycling durch Pyrolyse oder Zerspanung ist möglich, jedoch noch sehr kosten- und energieaufwendig. Eine kreative Lösung auch den ausrangierten Rotorblättern ein zweites Leben zu schenken, hat das deutsch-polnische Start-up Wings for Living gefunden: Sie werden zu Upcycling-Outdoor-Möbeln. Von ihrem Firmensitz in Dresden aus werden alle Vertriebsaktivitäten des Start-ups gesteuert. Die Produktion erfolgt in der polnischen Manufaktur Anmet in Szprotawa (dt. Sprottau). Eben hier ist 2019 auch die Idee zu den nachhaltigen Wohnaccessoires, wie Bänken oder Liegen, gemeinsam mit Studierenden des Instituts für bildenden Künste der Universität Zielona Góra (dt. Grünberg) entstanden. Um für die Herstellung das äußerst stabile Material verarbeiten zu können, also zu zersägen, musste eine eigene Methodik entwickelt werden.

Aus Rotorblatt wird Möbelstück

Bestehend aus faserverstärktem Kunststoff lässt sich ein Rotorblatt also nicht mit handelsüblichen Sägen zerteilen, da diese förmlich im Material stecken bleiben würden. Also wurde eine eigene Art von Glasfaserkunststoffsäge entwickelt. Zum Zerschneiden des Rotorblatts braucht diese pro Schnitt bis zu circa vier Minuten. Um die filigranen Formen der Möbelstücke herzustellen, werden die ausgedienten Windradstücke in diesem Arbeitsschritt „filetiert“. Die Besonderheit: Durch die unterschiedliche Form jedes Rotorblatts bekommt jedes Möbelstück seine eigene individuelle Form und wird so zum Unikat. Anschließend werden die entstehenden Schnittstellen mit Polyesterharz und kleinen Glasfaser-Matten verschlossen. Dies dient zum Schutz des Balsaholzes in den Rotorblättern vor eindringender Nässe. So wird das Möbelstück noch witterungsbeständiger und wasserfester. Im nächsten Schritt werden die Rohlinge verspachtelt und meist weiß oder grau lackiert.
Die Sitzflächen sowie Lehnen sind aus hochwertigem, lackierten Lärchenholz, das handwerklich auf jedes Einzelstück angepasst werden muss. Optisch lässt sich das Lärchenholz in geflammter dunklerer Variante wählen oder in naturfarben heller Variante. Auf Wunsch lassen sich die Möbel individuell farblich lackieren oder durch ein individuelles Foliendesign folieren. Der Kreativität sind beim Design also keine Grenzen gesetzt.
Die Rotorblätter, die zur Herstellung der allerersten Möbelstücke verwendet wurden, haben vor ihrer Verwandlung in Möbelstücke im Windpark Carinerland (Mecklenburg-Vorpommern) bereits 25 Jahre ihren Dienst geleistet. Dabei haben sie täglich etwa 12,5 Megawatt grünen Strom erzeugt und damit rund 1.000 Haushalte versorgt – und dadurch circa 35.500 Tonnen CO2 eingespart.
In Zeiten knapper Rohstoffe zeigt das Start-up Wings for Living mit seinen Möbelstücken, dass ausgediente Rotorblätter einen langlebigen Rohstoff darstellen können, der auf kreative Wiederverwendungsideen nur zu warten scheint. Denn mittlerweile werden nicht mehr nur Liegen und Bänke hergestellt. Hinzugekommen sind Pflanzenkübel und Hochbeete, Sitzkombos und Solareditionen der Möbelstücke mit selbstklebenden Solarelementen, die für Strom zum Laden von beispielsweise Handys sorgen. Ebenso gibt es bereits Prototypen von Carports, Design-Kaffee-Tischen, Fahrradständern oder auch Mülleimer-Einfassungen. So tragen die Rotorblätter nach ihrer aktiven Zeit als Teil einer Windkraftanlage auch mit neuer Funktion zu einer nachhaltigeren Welt bei.

Woraus besteht ein Rotorblatt?

Ein Rotorblatt bringt je nach Ausführung an die 15 Tonnen auf die Waage und ist teilweise mehr als 50 Meter lang. Es bestehet zum größten Teil aus faserverstärkten Kunststoffen. Diese bieten sehr gute mechanische Eigenschaften bei einem relativ geringen Gewicht. Dabei kommen Glasfasern oder Kohlenstofffasern zum Einsatz. Die Kunststoffmatrix ist häufig Epoxidharz, das die Verstärkungsfasern einbindet und fixiert. Zusätzlich enthalten einige Rotorblattvarianten leichtes, dennoch sehr festes Balsaholz als Kernmaterial, um ihre Formstabilität zusätzlich zu erhöhen. Im sogenannten Sandwichverfahren werden die anderen Werkstoffe um den Kern geschichtet. Bei der häufigsten Bauweise von Rotorblättern werden zwei separat gefertigte Halbschalen miteinander verklebt. Diese Halbschalen bilden die aerodynamische Form des Blattes und wirken dem Verdrehen oder Verbiegen entgegen.

Bild oben: Elegante Designermöbel aus alten Rotorblättern. Foto: Wings for Living

https://wings-for-living.de/

Von fil