Methanol kann mit erneuerbarer Energie aus Kohlendioxid und Wasser synthetisiert werden. Wenn dieses grüne Methanol von spezialisierten Bakterien verstoffwechselt wird, lässt sich eine Vielzahl von chemischen Substanzen biotechnologisch herstellen. Die Anwendung könnte es der chemischen Industrie erlauben, das Treibhausgas Kohlendioxid in wertvolle klimaneutrale Chemikalien umzuwandeln – und ihren ökologischen Fussabdruck deutlich zu verringern.
Um verschiedene Chemikalien wie etwa Plastik, Farbstoffe oder künstliche Aromen herzustellen, ist die chemische Industrie derzeit auf fossile Rohstoffe wie Erdöl angewiesen. „Weltweit verbraucht sie 500 Millionen Tonnen pro Jahr, also mehr als eine Million Tonnen pro Tag“, sagt Julia Vorholt, Professorin am Institut für Mikrobiologie an der ETH Zürich. „Da die chemischen Umwandlungen sehr energieaufwändig sind, ist der CO2-Fussabdruck der chemischen Industrie sogar noch sechs bis zehn Mal grösser: Er beläuft sich auf etwa fünf Prozent des gesamten weltweiten Ausstosses.“ Mit ihrem Team sucht sie deshalb nach Möglichkeiten, wie sich die Abhängigkeit der chemischen Industrie von fossilen Brennstoffen verringern liesse.
Grünes Methanol
Dabei stehen Bakterien im Zentrum, die sich von Methanol ernähren, die also im Fachjargon methylotroph sind. Methanol besitzt ein einziges Kohlenstoffatom und gehört damit zu den einfachsten organischen Molekülen. Es kann aus dem Treibhausgas Kohlendioxid und Wasser hergestellt werden. Stammt die Energie für diese Synthesereaktion aus erneuerbaren Quellen, wird das Methanol als grün bezeichnet. „Es gibt natürliche Methylotrophe, aber sie industriell zu nutzen, bleibt trotz grossem Forschungsaufwand schwierig“, sagt Michael Reiter, Postdoktorand in Vorholts Forschungsgruppe, die stattdessen mit dem in der Biotechnologie bestens bekannten Modellbakterium Escherichia coli arbeitet. Das Team um Vorholt verfolgt schon seit mehreren Jahren die Idee, das auf Zucker wachsende Modellbakterium mit der Fähigkeit auszustatten, Methanol biochemisch zu verwerten.
Vollständige Umstrukturierung des Stoffwechsels
„Das ist eine grosse Herausforderung, denn dafür braucht es eine vollständige Umstrukturierung des Stoffwechsels“, sagt Vorholt. Zunächst simulierten die Forschenden diese Umstellung mit Computermodellen. Dann entfernten sie gezielt zwei Gene und schleusten dafür drei zusätzliche Gene ein. „Dadurch konnten die Bakterien das Methanol aufnehmen, wenn auch nur in geringen Mengen“, sagt Reiter. Daraufhin züchteten sie die Bakterien mehr als ein Jahr unter speziellen Bedingungen im Labor weiter, bis die Umstellung gelungen war – und die Mikroben alle Zellbestandteile aus Methanol herstellen konnten. Im Laufe von rund 1000 weiteren Generationen wurden diese sogenannten synthetischen Methylotrophen immer effizienter, so dass sie sich schliesslich alle vier Stunden verdoppelten, wenn sie ausschliesslich mit Methanol gefüttert wurden. „Die verbesserte Wachstumsrate macht die Bakterien wirtschaftlich interessant“, sagt Vorholt.
Optimierung durch Funktionsverlust
Wie das Team um Vorholt im soeben veröffentlichten Fachbeitrag darlegt, sind mehrere zufällig entstandene Mutationen für die erhöhte Effizienz der Methanol-Verwertung verantwortlich. Die meisten dieser Mutationen führten zum Funktionsverlust verschiedener Gene. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Zellen dank dem Funktionsverlust der Gene Energie einsparen können. So bewirken etwa einige Mutationen, dass die Umkehrreaktionen von wichtigen biochemischen Reaktionen ausfallen. „Dadurch werden überflüssige Kreisläufe vermieden – und die Stoffwechselflüsse in den Zellen optimiert“, schreiben die Forschenden. Um das Potenzial der synthetischen Methylotrophen für die biotechnologische Produktion industriell relevanter Massenchemikalien auszuloten, haben Vorholt und ihr Team die Bakterien mit zusätzlichen Genen für vier verschiedene Biosynthesewege ausgerüstet. In ihrer Studie zeigen sie nun, dass die Bakterien tatsächlich in allen Fällen die gewünschten Verbindungen herstellten.
Vielseitige Produktionsplattform
Für die Forschenden ist das ein deutlicher Beleg, dass ihre hochgezüchteten Bakterien einlösen, was sie sich ursprünglich von ihnen versprochen hatten: Die Mikroben sind eine Art hochversatile Produktionsplattform, in die man nach dem „Plug-and-Play“-Prinzip Biosynthesemodule einbauen kann, die die Bakterien dazu veranlassen, das Methanol in eine beliebige biochemische Substanz umzuwandeln. Allerdings müssen die Forschenden die Ausbeute und die Produktivität noch erheblich steigern, um eine wirtschaftlich tragfähige Verwendung der Bakterien zu ermöglichen. Vorholt und ihr Team haben kürzlich Innovationsfördermittel erhalten, „um die Pläne in Richtung Anwendung weiter auszubauen und herauszufinden, auf welche Produkte wir uns zuerst konzentrieren“, sagt Vorholt.
Wenn Reiter davon erzählt, wie sich die Kultivierung der Bakterien in Bioreaktoren optimieren lässt, sprüht er vor Tatendrang. „Angesichts der Klimaerwärmung ist klar, dass es Alternativen zu fossilen Rohstoffen braucht“, betont er. „Wir entwickeln eine Technologie, die kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre entlässt“, sagt Reiter. Und da die synthetischen Methylotrophen ausser dem grünen Methanol keine weiteren Kohlenstoffquellen für ihr Wachstum und ihre Produkte benötigten, erlaubten sie es, „erneuerbare Chemikalien herzustellen, die die Umwelt nicht belasten“.
Bild oben: Bakterien, die sich von Methanol ernähren können nachhaltige Chemikalien produzieren. Abbildung: Sean Kilian