Mit der Einweihung des ALTMARKTgarten auf dem Dach des Oberhausener Jobcenters fiel am 26. September 2019 der Startschuss für ein Leuchtturmprojekt der urbanen Landwirtschaft. Dabei handelt es sich nicht nur um eine reine Produktionsstätte, die auf über 1000 m² frische und nachhaltige Lebensmittel für den lokalen Markt liefert. Der ALTMARKTgarten ist auch ein Ort der Innovation, in dem die Vernetzung von Gebäudetechnologien, Haustechnik und Lebensmittelproduktion erforscht wird – und das ist längst nicht alles.
Fraunhofer UMSICHT testet und entwickelt in Oberhausen gemeinsam mit Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen neueste Technologien der gebäudeintegrierten Landwirtschaft. Seit fünf Jahren steht den Forschenden hierfür ein eigener FuE-Bereich im ALTMARKTgarten zur Verfügung. Ein Fokus liegt auf den für den Anbau von Pflanzen verwendeten Ressourcen. Denn bei dem inFARMING®-Konzept, das die Grundlage für das gesamte Vorhaben bildet, kommen diese Ressourcen direkt aus dem Gebäude: „Es werden zum Beispiel Wasserströme aufbereitet und für den hydroponischen Anbau verwendet, ebenso wird die Abwärme zur Versorgung der Pflanzen genutzt“, erklärt Volkmar Keuter von Fraunhofer UMSICHT.
Was und vor allem wie in dem Dachgewächshaus angebaut wird, hat sich schnell herumgesprochen, sodass der ALTMARKTgarten mittlerweile internationale Strahlkraft hat. Wenn es um das Thema gebäudeintegrierte Landwirtschaft geht, führt kaum ein Weg an dem markanten Gebäude am Altmarkt vorbei: Kürzlich erst waren Gäste aus Schweden zu Besuch, und sogar eine australische Delegation hat sich das zukunftsweisende Agrarkonzept im Detail angeschaut.
Ressourcensparende Dächer aus Glas-Folien
Ein Beispiel für die Forschungsarbeiten vor Ort sind ressourcensparende Dächer aus einem Glas-Folie-Modulsystem. Herkömmliche Glasdächer haben den Nachteil, dass sie schwer sind und einen hohen Ressourcenverbrauch haben. Im Projekt „Light-Light-Roof„1 hat Fraunhofer UMSICHT zusammen mit der Wolfgang Block Industrie- und Gartenbau GmbH & Co. KG ein innovatives und modulares Leichtbausystem entwickelt: eine Kombination aus Glas-Folie-Modulsystem und einem Innendach aus mobilem, lichtdurchlässigen und IR-reflektierenden Gewebe. Der Gesamtsystem-Prototyp wurde im FuE-Bereich des ALTMARKTgarten – einem für die realen Einsatzbedingungen repräsentativen Umfeld – eingesetzt und im Ganzjahresbetrieb untersucht. Insbesondere diente eine IoT (Internet of Things) basierte Messtechnik dazu, die dreidimensionale Temperatur- und Feuchtekartierung des Gewächshausbereichs durchzuführen.
Alternative Proteinquellen
Ein weiteres Forschungsfeld sind Proteine. Sie sind lebensnotwendig, gleichzeitig jedoch auf dem Weg, Mangelware in der globalen Nahrungsmittelversorgung zu werden. Durch extreme Wetterlagen sowie Belastungen von Böden und Gewässern kann der Mangel in Zukunft noch weiter ansteigen. Volkmar Keuter: „Ein Lösungsansatz für diese Herausforderung liegt in der Erschließung neuartiger Proteinquellen als nachhaltige und massentaugliche Alternative zu tierischen Nahrungsmitteln.“ Im Leitprojekt „FutureProteins“ entwickeln sechs Fraunhofer-Institute neue geschlossene Anbausysteme und Prozesse, mit denen nährstoffreiche Proteine aus ausgewählten Pflanzen, Insekten, Pilzen und Algen gewonnen und für neue Produkte genutzt werden können. Die Proteinquellen sollen ganzjährig, klimaunabhängig und dadurch mit hoher Effizienz und Resilienz verfügbar sein. Fraunhofer UMSICHT entwickelt und bewertet u. a. die Verfahren zur Extraktion aus Pflanzen.
Bioökonomie-Revier
Auch im Bereich der Heil- und Medizinalpflanzen wird im ALTMARKTgarten geforscht. Konkret geht es darum, Arnika effektiver und klimaneutraler anzubauen. Denn gerade bei den aus Wildsammlungen stammenden Pflanzen schwankt die Qualität aufgrund variabler Wirkstoffgehalte und Kontaminationen. Gemeinsam mit weiteren Projektpartnern wählen die Forschenden von Fraunhofer UMSICHT zum einen ertragreiche Arnikapflanzen für den Freilandanbau aus, zum anderen entsteht eine sensorgesteuerte Kultivierung in Indoor-Systemen. Und auch der Ernteprozess wird betrachtet, sodass mithilfe neuester Technologien gezielt die wirkstoffreichsten Blüten gewonnen werden können. Das Vorhaben ist Teil des Projekts „BioökonomieREVIER Rheinland„, das zum Ziel hat, den Strukturwandel im Rheinischen Revier zu gestalten und Bioökonomie in die Anwendung zu bringen. Es soll dort eine Modellregion für nachhaltiges Wirtschaften entstehen.
1Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Bild ganz oben: Alle verwendeten Kultivierungssysteme sind hydroponisch, d. h. die Pflanzen werden durch eine wässrige Lösung ernährt. Foto: