Elektroautos, Wärmepumpen und Heimspeicher machen das Stromsystem künftig deutlich flexibler: 2035 können sie eine Strommenge in Höhe von zehn Prozent des gesamten Stromverbrauchs zeitlich verschieben. Neue Tarifmodelle können es Haushalten ermöglichen, diese Flexibilitäten bereitzustellen. Das spart Kosten bei der Erzeugung und senkt so die Strompreise für alle.
Durch Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Heimspeicher können Haushalte in Deutschland 2035 rund 100 Terawattstunden Strom zeitlich flexibel nutzen, wie aus einer neuen Studie von Agora Energiewende hervorgeht. Diese flexible Last entspricht mehr als zehn Prozent des Gesamtstromverbrauchs in Deutschland im Jahr 2035 – und etwa der Hälfte des künftigen Stromverbrauchs von Haushalten. Allein E-Autos können der Studie zufolge mehr als 60 Terawattstunden verschiebbare Last beziehungsweise Rückeinspeisung ins Netz bereitstellen. Dabei geht die Agora-Studie davon aus, dass etwa die Hälfte der Haushalte die Flexibilität ihrer E-Pkw, Wärmepumpen und Heimspeicher auch nutzt, wenn entsprechende Preisanreize vorhanden sind. Wird dieses Potenzial ausgeschöpft, können 2035 rund 4,8 Milliarden Euro an Brennstoff- und Investitionskosten eingespart werden, die sonst für Wasserstoffkraftwerke und Großbatterien benötigt würden. Diese Einsparungen sorgen wiederum für sinkende Stromkosten für alle Verbraucherinnen und Verbraucher.
Um das große Potenzial der Lastverschiebung in Haushalten zu heben, braucht es neue Tarifmodelle, die etwa das Laden von E-Autos sowohl am Stromangebot als auch der Netzauslastung ausrichten. Ohne solche differenzierten Preissignale könnte die wachsende Zahl der stromintensiven Technologien in Haushalten zu höheren Belastungsspitzen im Netz führen.
Dynamische Stromtarife bilden das Erneuerbaren-Angebot und die Netzauslastung ab
„Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wollen sich am Gelingen der Energiewende beteiligen. Eine Modernisierung der Stromtarife schafft hierfür neue Möglichkeiten“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. „Neue Tarifmodelle sollten Haushalten ermöglichen, auf das fluktuierende Angebot von erneuerbarem Strom zu reagieren. Gleichzeitig gilt es, den in einem klimaneutralen Stromsystem erforderlichen Netzausbau möglichst gering zu halten.“
Agora Energiewende schlägt daher ein Tarifmodell vor, das beide Ziele verbindet: Auf der einen Seite sollen dynamische Strompreise dafür sorgen, dass die günstigeren Flexibilitätsoptionen von Haushalten durch E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher zuerst zum Einsatz kommen, bevor wesentlich kostspieligere Wasserstoffkraftwerke anlaufen. Auf diese Weise treten weniger Stunden mit sehr hohen Börsenstrompreisen auf und die durchschnittlichen Stromkosten für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sinken. Auf der anderen Seite beugen dynamische Netzentgelte, die die aktuelle Netzauslastung abbilden, lokalen Überlastungen im Stromnetz vor. Bei zunehmender Auslastung steigen die Netzentgelte und verhindern so, dass zu viele Verbraucherinnen und Verbraucher gleichzeitig ihren Strombezug erhöhen. Die Modellierung, die die Forschungsstelle für Energiewirtschaft im Auftrag von Agora Energiewende durchgeführt hat, zeigt, dass dadurch weniger Lastspitzen und in der Folge weniger Kosten für den Netzausbau anfallen.
In anderen europäischen Ländern bereits Realität
„In anderen europäischen Ländern sind zeitvariable Netzentgelte längst Realität. Die Bundesnetzagentur und Verteilnetzbetreiber sollten hieran anknüpfen und dynamische Netzentgelte in Deutschland ermöglichen“, sagt Müller. „Das ist ein wichtiger Beitrag zur kostengünstigen Integration von Erneuerbaren Energien.“ Die Studie zeigt, dass dynamische Stromtarife durch ein kosteneffizienteres Stromsystem Ersparnisse für alle Verbraucherinnen und Verbaucher mit sich bringen: Ein Vier-Personen-Haushalt mit Wärmepumpe kann perspektivisch rund 600 Euro im Jahr sparen. Denn flexible Stromkundinnen und -kunden können ihren Verbrauch – in der Regel automatisiert – besser an Zeiten mit niedrigen Preisen ausrichten. Auch alle anderen Kundinnen und Kunden zahlen weniger und sparen durchschnittlich 1 Cent je Kilowattstunde, was bei einem Vier-Personen-Haushalt inklusive Mehrwertsteuer rund 42 Euro Ersparnis jährlich bedeutet. Zusätzlich profitieren alle von niedrigeren Netzausbaukosten und besser ausgelasteten Netzen.
Die Studie „Haushaltsnahe Flexibilitäten nutzen – Wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Co. die Stromkosten für alle senken können“ ist in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Energiewirtschaft e. V. erschienen. Die 121-seitige Publikation stellt vier Tarifmodelle mit unterschiedlichen Flexibilitätsanreizen nebeneinander und betrachtet deren Auswirkungen auf die Flexibilitätsbereitstellung von Haushalten, die Belastung des Stromverteilnetzes, die Netzausbaukosten sowie die möglichen Einsparungen in den Gesamtkosten der Stromerzeugung. Die Veröffentlichung enthält zahlreiche Abbildungen und Graphiken und steht hier zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Bild oben: Erneuerbare Energie kann die Strombersorgung flexibler und günstiger machen. Foto: Pixabay/adege