Mobilität muss umweltverträglicher werden, aber wie gelingt die Transformation im Detail? Dieser Frage ging Dr.-Ing. Alina Wetzchewald in ihrer Dissertation an der Bergischen Universität Wuppertal nach. Im Ergebnis hält die Wissenschaftlerin fest: Innovationen können sich nur dann durchsetzen, wenn nicht nachhaltige Prozesse und Technologien konsequent weichen. Dafür dürfen diese nicht mehr zeitgemäßen Technologien und Verhaltensweisen nicht künstlich attraktiv gehalten werden. Für ihre Arbeit wurde Wetzchewald mit dem Karl-Arnold-Preis der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste ausgezeichnet, der mit 10.000 Euro dotiert ist.

Die Notwendigkeit einer Verkehrswende ist viel besprochen – längst müsste der Ausstoß von Klimagasen im Verkehrssektor reduziert werden, das Gegenteil jedoch ist der Fall. Das zeigt: Mit bestehenden Maßnahmen ist Fortschritt kaum möglich. Dr.-Ing. Alina Wetzchewald, Researcherin im Forschungsbereich Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut, stellt in ihrer Arbeit die These auf, dass sich ein dauerhafter Wandel in Richtung einer nachhaltigen Mobilität nur dann herbeiführen lässt, wenn der Autoverkehr gezielt eingeschränkt wird. Dafür muss er möglichst unattraktiv werden, damit Innovationen angeregt werden und sich geeignete nachhaltige Alternativen durchsetzen. „Im Verkehrsbereich gibt es vielfältige innovative Ansätze, aber sie entfalten nicht ihre gesamte Wirkkraft, wenn sie mit gelernten, klimaschädlichen Gewohnheiten konkurrieren“, erklärt sie.

Nicht nachhaltige Technologien, Produkte und Praktiken sowie sie begünstigende Infrastrukturen auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren oder gar abzuschaffen, bezeichnet man auch als Exnovation. Welchen Beitrag diese zur urbanen Verkehrswende leisten kann und wie ihre Prozesse gestaltet werden müssen, hat Wetzchewald in ihrer Dissertation an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der Bergischen Universität untersucht. Darin zeigt sie auf: „In Deutschland scheitern exnovative Konzepte oft an fehlender Rechtssicherheit und entsprechenden Klagen. Zudem dauern die Projekte zum Teil nur wenige Wochen, wodurch sich das Verkehrsverhalten nicht dauerhaft ändert.“

Wie Exnovation gelingen kann

In ihrer Dissertation begründet Wetzchewald die Notwendigkeit von Exnovation, erarbeitet theoriebasiert Erklärungsansätze und untersucht Exnovation am Beispiel der autoreduzierten Stadt Oslo. Bemerkenswert sei, so die Verkehrswissenschaftlerin, dass nicht nur die Reduktion des Autoverkehrs in den Vordergrund des Konzepts gerückt wird, sondern, dass es sich um einen ganzheitlichen und integrativen Ansatz handelt, bei dem es vordergründig um lebenswerte Quartiere geht.

Im Zuge ihrer Arbeit hat Wetzchewald sieben Handlungsempfehlungen formuliert, die dabei helfen können, von durch den motorisierten Individualverkehr dominierten Strukturen zu einer nachhaltigen urbanen Mobilität zu kommen – immer vor dem Hintergrund betrachtet, dass es für die Verkehrswende kein Patentrezept gibt und in den unterschiedlichen Kommunen unterschiedliche Anforderungen zu berücksichtigen sind. Ausgehend davon, dass auf kommunaler Ebene ein Bewusstsein über die Notwendigkeit und die Chancen von Verkehrswende-Exnovation geschaffen wird, sei eine Vorbereitungsphase wichtig, in der Alternativen und Ressourcen für die Transformation bereitgestellt werden. Wenn dann der richtige Zeitpunkt – ein Möglichkeitsfenster, wie Wetzchewald es nennt – gekommen sei, beispielsweise im Zuge einer Kommunalwahl, gelte es, die Umsetzung der Exnovation zu starten. „Dabei ist das Schaffen von Transparenz durch eine frühzeitige und fortlaufende Kommunikation ganz wichtig. Ebenso ein schrittweises Vorgehen bei der Umsetzung und das Kombinieren unterschiedlicher Maßnahmen“, betont die Autorin. Um Transformationswissen zu generieren und dadurch die Wissensbasis sukzessive zu erweitern sowie Exnovation darauf zu stützen, seien begleitende Evaluationsprozesse und ein Monitoring entscheidend. Hierbei kommt insbesondere der Wissenschaft eine zentrale Rolle zu. Auch über die Begleitforschung hinaus, beispielsweise indem sie als wichtige Partnerin einen wertvollen Beitrag in der Fort- und Weiterbildung von Beschäftigten leisten kann.

Mit ihrer Dissertation überzeugte Wetzchewald nicht nur ihre Betreuer von der Bergischen Universität Wuppertal, Prof. Dr.-Ing. Felix Huber, und vom Wuppertal Institut, Prof. Dr.-Ing. Oscar Reutter, die ihre Arbeit mit der Bestnote „summa cum laude“ bewerteten, sondern auch die Jury des Karl-Arnold-Preises. Den schrieb die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste in diesem Jahr zum Schwerpunkt Nachhaltigkeit aus. Im Rahmen der von der Akademie ausgerichteten Leo-Brandt-Veranstaltung, die ebenfalls ganz im Zeichen des Themas Nachhaltigkeit stand, wurde Wetzchewald der Preis am gestrigen Mittwoch, 11. Oktober, übergeben. Für das Wuppertal Institut hat die Wissenschaftlerin die Ergebnisse ihrer Dissertation in einem Beitrag zur Reihe „Zukunftsimpulse“ dargestellt und weiterentwickelt. Das Dokument mit dem Titel „Weniger ist Mehrwert – Exnovation und die urbane Verkehrswende“ ist hier kostenfrei abrufbar.

Bild oben: Kamen im Rahmen der Leo-Brandt-Veranstaltung der AWK zusammen (v.l.): Prof. Julia B. Bolles-Wilson (Präsidentin der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste), Preisträgerin Dr.-Ing. Alina Wetzchewald, Uni-Rektorin und Sprecherin der Nachhaltigkeitsinitiative Humboldtn Prof. Dr. Birgitta Wolff sowie Dr. Thomas Förster (Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung der Freunde und Förderer). Quelle: Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste/Engel-Albustin 2023 Foto: Wuppertal Institut

Von fil