Die KFZ-Versicherungsbranche erlebt derzeit eine Revolution im Bereich Nachhaltigkeit. Diese wird vor allem durch die Nachfrage seitens der Verbraucher und den Druck der Regulierungsbehörden angetrieben. Ein größerer Fokus auf Nachhaltigkeit hat auch für Versicherer verschiedene Vorteile, wie beispielsweise ein besseres Image, die Erhöhung des Customer Lifetime Values (CLV), langfristige Kosten- und Steuerersparnisse, Innovationen – und das alles mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt. In einem Gastbeitrag gibt Bill Brower, Leiter der Schadensabteilung bei Solera einen Ausblick.

Umweltbewusstsein ist kein Trend, sondern hat sich in den letzten Jahren in der Haltung und Denkweise der Kunden fest etabliert. Laut aktuellem Consumer Trends Report von Capgemini würde mehr als die Hälfte der Verbraucher (58 %) auf nachhaltigere Produkte umsteigen, wenn sie mehr Informationen über deren Umweltauswirkungen bekommen. Dieses grüne Bewusstsein ist aber nicht nur auf schnelllebige Konsumgüter beschränkt. Auch auf dem Versicherungs- und Automobilmarkt wird der Ruf nach nachhaltigen Angeboten immer lauter.

Grüne Versicherungen

Eine Solera Umfrage aus dem Herbst 2023 zeigt, dass Fahrer und Versicherer Nachhaltigkeit mehr fördern möchten. So würden beispielsweise drei Viertel (74 %) der befragten deutschen Autofahrer bei einem Versicherer bleiben oder zu einem solchen wechseln, der seine Nachhaltigkeit nachweisen kann. Und fast alle (99 %) Entscheidungsträger von Kfz-Versicherern geben an, dass die Verbesserung der Nachhaltigkeitskennzahlen ganz oben auf ihrer Agenda steht. Sie prüfen z.B.  umweltfreundliche Versicherungspolicen und achten auf die Nachhaltigkeit ihrer Lieferkette – insbesondere bei der Organisation von Reparaturen für Versicherungsnehmer. Vor allem im Bereich Schadenmanagement gibt es wichtige Ansatzpunkte, um die CO2 -Emissionen zu reduzieren. ​​Laut der Studie priorisiert fast die Hälfte von ihnen Reparaturen gegenüber dem Einsatz von Ersatzteilen (45 %), verwendet mehr recycelte Materialien bei Reparaturen (43 %) und wählt Lieferanten nach der Nachhaltigkeit ihrer Materialien aus (43 %).

Reparaturrevolution

Kfz-Versicherer konzentrieren sich zunehmend auf Reparaturen, um Emissionen in ihren Lieferketten zu reduzieren und ihre Nachhaltigkeit zu verbessern. Und auch Kosten lassen sich durch Reparaturen sparen. Laut einer Studie des GDV (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft) sind die Kosten für Ersatzteile seit 2013 um durchschnittlich mehr als 53 Prozent gestiegen. Demnach müssen deutsche Autofahrer immer mehr Geld für Reparaturen und Wartungen bezahlen. Das könnte deutlich weniger sein, wenn in den Werkstätten Teile repariert statt komplett ausgetauscht würden. In vielen Fällen ist eine Reparatur viel sinnvoller, weil Teile, die sonst auf der Mülldeponie landen würden, einfach recycelt werden können. Zudem entstehen durch Produktion und Transport von Ersatzteilen Treibhausgasemissionen, die durch die Reparatur vermieden werden können.

Berichterstattung

Neben der ethischen Verpflichtung wird Nachhaltigkeit zunehmend zu einer regulatorischen Anforderung für Unternehmen. Die EU-Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) tritt in diesem Jahr in Kraft. Sie gilt für größere Unternehmen, die in Europa tätig oder an einem EU-regulierten Markt gelistet sind. Die CSRD wird Unternehmen dazu verpflichten:

  • ihre Umweltrisiken zu analysieren
  • sich Ziele zur Reduzierung ihrer Umweltauswirkungen zu setzen
  • über diese Ziele zu berichten und
  • ihre Berichte extern prüfen zu lassen.

Unternehmen müssen diesen Prozess im Geschäftsjahr 2024 starten und ihre ersten Nachhaltigkeitsberichte im Jahr 2025 veröffentlichen. Die laut der Solera Umfrage mangelnde Vorbereitung auf die CSRD seitens der KFZ-Versicherungen könnte erhebliche Risiken und im schlimmsten Fall Sanktionen mit sich bringen.

Daten sind der Schlüssel

Daten sind ein wesentlicher Aspekt für Versicherer – sowohl was den Zugang zu Daten als auch die Analysefähigkeiten betrifft. Eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen ist schlichtweg nicht möglich, wenn man diese nicht detailliert analysiert. Dazu braucht es genaue Daten, die umfangreiche Einblicke bieten. Doch trotz Verbesserungen ihrer Datensysteme haben Versicherer Schwierigkeiten, Kohlenstoffemissionen in ihren Lieferketten zu messen – die sogenannten ”Scope-3”-Emissionen gemäß Greenhouse Gas (GHG) Protocol:

  • Scope 1 umfasst direkte Emissionen von Quellen, die im Besitz oder unter Kontrolle des Unternehmens stehen.
  • Scope 2 umfasst indirekte Emissionen, die aus der Erzeugung der Energie entstehen, die zur Beheizung, Kühlung und zum Betrieb des Unternehmens gekauft wird.
  • Scope 3 umfasst indirekte Emissionen, die in der Wertschöpfungskette des Unternehmens entstehen – zum Beispiel durch die Fahrzeugreparaturen der Versicherungsnehmer.

Die Scope-3-Emissionen sind am schwierigsten zu verfolgen, da sie außerhalb des berichtenden Unternehmens erzeugt werden. Das mag erklären, warum derzeit nur etwas mehr als die Hälfte (53 %) der Autoversicherer laut Umfrage Scope-3-Emmissionen messen. Die Herausforderungen sind komplex und es wird immer dringlicher, da Investoren, Regulierungsbehörden und Kunden eine klare Berichterstattung über Maßnahmen zum CO2-Fußabdruck und die Auswirkungen auf die Umwelt fordern. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass bis 2025 die Messung von Scope-3-Emissionen in vielen Märkten verpflichtend sein wird.

Bill Brower, Leiter der Schadenabteilung bei Solera. Foto: Solera

In jeder Branche ist der Übergang zu nachhaltigeren Betriebsabläufen komplex. Versicherungen bilden da keine Ausnahme. Die Weichen für eine grüne Revolution in der Kfz-Versicherung sind gestellt. Auch bemühen sich die Versicherungen bereits um Verbesserungen ihrer Prozesse. Hohe Kosten, Zugang zu Daten sowie die Messung von Scope-3-Emissionen stellen jedoch Herausforderungen dar. Zudem sind viele noch nicht auf die Anforderungen der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vorbereitet.

 

Autor: Bill Brower

Bill Brower, Leiter der Schadenabteilung bei Solera, widmet sich der Förderung des Schaden-, Reparatur-, Fahrzeug- und Flottengeschäfts innerhalb des Unternehmens. Mit über 30 Jahren Erfahrung ist Herr Brower eine angesehene Persönlichkeit in der Versicherungsbranche. Er hat Schadenteams für renommierte Unternehmen wie Nationwide Insurance, Liberty Mutual Insurance, LexisNexis Risk Solutions und Solera geleitet.  Darüber hinaus leitet Bill Brower die weltweiten Nachhaltigkeitsinitiativen von Solera im Automobilbereich. Solera bietet weltweit Software-Lösungen zur Kalkulation von Schäden unter anderem an Fahrzeugen an.

Bild ganz oben: Bill Brower ist sicher: Die Zukunft der Autoversicherung ist grün. Foto: Solera

Von fil