Es ist der 27. Juni 2023 in Turin. Pizzabäcker Aldo im Communitytreffpunkt Locanda nel Parco hat viel zu tun, denn heute Mittag backt er rund 30 Pizzen. Die Besonderheit: das Menü besteht nicht etwa aus den Klassikern Margherita oder Prosciutto e Funghi. Es gibt heute nur eine Pizza, und zwar die Pizza Circolare – auf Deutsch Kreislaufpizza. Sie besteht aus lokal produzierten saisonalen Zutaten und verarbeitet insbesondere Teile der Lebensmittel, die normalerweise im Müll landen, wie Schalen oder Kerne. Das klingt wild und Fans der traditionellen Pizza werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn Brokkoli und Karotten auf ihrer Pizza landen und mit einer Art Mayonnaise aus Aquafaba (das Kochwasser von Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Kichererbsen) kunstvoll dekoriert wird. Es ist aber außerordentlich schmackhaft (das kann die Blogautorin persönlich bestätigen), gesund und vor allem nachhaltig. Die Kreislaufpizza wurde im Rahmen des EU-Projekts FUSILLI entwickelt und feierte Ende 2022 ihre Premiere. Seitdem werden regelmäßig neue saisonal angepasste Rezepturen getestet und von der Universität für gastronomische Wissenschaften Pollenzo in Turin begleitet.
Die Kreislaufpizza ist nur eines von zahlreichen Beispielen für Innovationen, die unsere Lebensmittelsysteme in Städten nachhaltiger gestalten sollen. Was nach Nische klingt, ist von größerer Bedeutung, als man vermuten mag. 80% unserer produzierten Lebensmittel weltweit werden in Städten konsumiert (EAT 2022). Die meisten Menschen leben in Städten und immer mehr kommen dazu. Jeder Teil der Lebensmittelkette hat große Auswirkungen auf das Klima und bietet daher Ansatzpunkte für Innovation, um diese Auswirkungen zu minimieren. Das betrifft die Produktion der Lebensmittel, deren Verarbeitung, ihre Verpackung, die Logistik, die Verteilung auf Märkte, das Konsumieren der Lebensmittel und ihr Abfallmanagement. Mit Blick auf die 80% sind die Städte und ihre Einwohner mächtige Akteure in dieser Kette, die viel in Bewegung setzen können. Beispielsweise können Vergaberegelungen für Caterer mit einer Verpflichtung zu mehr Nachhaltigkeit ergänzt werden und Cateringunternehmen, die sich auf saisonale und lokale Lebensmittel fokussieren, können sich dadurch besser gegen ihre Konkurrenz durchsetzen. In einigen der städtischen Kantinen der Stadt Oslo wird dies ebenfalls im Rahmen des EU-Projekts FUSILLI getestet.
Lokale Lebensmittel fördern
Mit der Bereitstellung von Flächen für urbane Gemeinschaftsgärten können Städte die Produktion lokaler Lebensmittel fördern und gleichzeitig ihre Bürger:innen zusammenbringen. In den Gemeinschaftsgärten der FUSILLI-Projektstadt Differdange in Luxemburg werden zusätzlich regelmäßig Workshops mit Schulklassen durchgeführt. Hier wird den jungen Lebensmittelkonsumenten gezeigt, wie gesunde und nachhaltige Lebensmittel produziert werden und wie man sie verarbeitet.
In der dänischen FUSILLI Projektstadt Kolding wurde vor kurzem ein neuer Meilenstein erreicht: es gibt dort nun einen politikberatenden Food Council, d.h. ein Gremium bestehend aus Repräsentant:innen der unterschiedlichen Bereiche der Lebensmittelkette – Bürger:innen als Konsumenten eingeschlossen. Lebensmittelsysteme sind außerordentlich komplex, daher müssen sie mit einem ganzheitlichen Ansatz betrachtet werden, wenn man sie transformieren will. Dazu gehören unterschiedliche Sektoren wie private Unternehmen, politische Entscheidungsträger:innen, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und viele mehr. Das EU-Projekt FUSILLI besteht aus Reallaboren in 12 europäischen Städten, in denen dieser Ansatz aktuell umgesetzt wird. Zahlreiche innovative Ansätze wie die Kreislaufpizza, die nachhaltigen Kantinen, die urbanen Gärten oder die Food Councils werden getestet und wissenschaftlich evaluiert. Ziel ist, dass andere Städte die Ansätze replizieren können. Gleichzeitig werden Erkenntnisse aus den Reallaboren über Rahmenbedingungen, die nur von der Politik geändert werden können, in Form von Politikempfehlungen an die EU kommuniziert und damit die Gestaltung neuer Gesetze beeinflusst.
Bild ganz oben: Der Food Council der dänischen Stadt Kolding im FUSILLI-Projekt, Foto Kolding Living Lab
Dieser Text ist zunächst auf der Seite des Steinbeis Europa Zentrum erschienen.