Die Lebensmittelkette PENNY unterstützt Wissenschaftler*innen der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm (Ohm) bei ihren Untersuchungen zu den wahren Kosten für Lebensmittel. Anfang August werden 2150 Märkte der Kette eine Woche lang zur Datenbasis. Für neun ausgewählte Produkte werden ein Woche lang die berechneten „Wahren Kosten“ als Verkaufspreis von den Kunden verlangt. Die Wissenschaftler*innen erhoffen sich von der Aktion einen transparenten Diskurs von Umweltfolgen des Lebensmittelsektors sowie Informationen zum Einfluss auf das Konsumverhalten und die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft im Interesse der Umwelt. Das zusätzlich eingenommene Geld soll gespendet werden.
Jede Form von Produktion und Konsum hat Auswirkungen auf die Umwelt. Diese derzeit unsichtbaren Umweltfolgekosten – sogenannte wahre Kosten – fallen entlang der Lieferketten zwangsläufig an, spiegeln sich aber nicht oder nur teilweise in den Verkaufspreisen der Produkte, Dienstleistungen und Lebensmittel wider. Ob und wie sie ausgeglichen werden, ist bislang intransparent. Für ausgewählte konventionell und ökologisch erzeugte Produkte der Lebensmittelkette PENNY sowie ein veganes Lebensmittel haben die Wissenschaftler*innen die über die Lieferketten anfallenden ökonomischen Auswirkungen der Faktoren Boden, Klima, Wasser und Gesundheit in den Verkaufspreis mit eingerechnet. Die Berechnungen des Teams um Prof. Dr. Tobias Gaugler von der Fakultät Betriebswirtschaft der Ohm und Dr. Amelie Michalke vom Institut für Geographie und Geologie der Universität Greifswald ergaben, dass die Aufpreise in den Produktgruppen unterschiedlich hoch ausfallen. So haben die erhobenen Bio-Lebensmittel grundsätzlich geringere Folgekosten als ihre konventionellen Gegenstücke, das pflanzliche Ersatzprodukt hat im Vergleich den mit Abstand geringsten Aufpreis.
Wahre Kosten beinhalten Umwelt- und Folgekosten
Im Unterschied zu den gegenwärtigen Lebensmittelpreisen zeichnen sich die wahren Kosten (auch „True Costs“) von Lebensmitteln dadurch aus, dass in diese Umwelt- und soziale Folgekosten eingehen, die bei der Herstellung der Lebensmittel entlang der Lieferketten entstehen. Diese Folgekosten werden auch als „negative externe Effekte“ bezeichnet. Sie werden von allen Lebensmittelproduzenten verursacht, aber aktuell von der Gesamtgesellschaft getragen. Das heißt, die Verbraucher tragen diese Kosten indirekt, beispielsweise für die Auswirkungen des Klimawandels aufgrund von Treibhausgasemissionen, oder sie bezahlen mit der Wasserrechnung für die Aufbereitung von Trinkwasser, das aufgrund von Düngemitteln belastet ist. Mittels „True Cost Accounting“ werden nicht nur die direkten Produktionskosten in den Preis eines Lebensmittels eingerechnet, sondern auch dessen Auswirkungen auf ökologische oder soziale Systeme in Geldeinheiten umgerechnet. Eine Bilanzierung von Lebensmittelpreisen anhand dieser wissenschaftlichen Methodik – dem True Cost Accounting – zeigt dem Konsumenten, welcher Preis tatsächlich für seine Lebensmittel derzeit schon anfällt und hilft zu verstehen, welche Produkte sich langfristig auf die Gesundheit des Planeten auswirken.
Ermittlung der Werte durch Lebenszyklusanalysen
Die wahren Preise für die Aktionsprodukte wurden mittels Lebenszyklusanalysen (auch Ökobilanzen genannt) ermittelt. Diese Methodik gibt zunächst Aufschluss über die Menge an Schadstoffen, Emissionen und Ressourcen, die während des Produktionszyklus der Produkte anfallen. Nachdem die Menge klar ist, wird sie mit den entsprechenden Schadenskostenfaktoren verrechnet. Diese Schadenskostenfaktoren beschreiben den finanziellen Schaden an der Gesellschaft, der aufgrund der jeweiligen Emission oder des Verbrauchs bestimmter Ressourcen entsteht. Prof. Dr. Tobias Gaugler sagt: „Wir bekommen über die Kampagnenwoche umfassende Daten und sozio-demographische Informationen. Wir können damit wertvolle Erkenntnisse über Kaufverhalten und Akzeptanz für das Thema gewinnen. Daraus lassen sich dann Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteure ableiten, um vor allem sinnvolle politische Maßnahmen zu gestalten, die zu einer nachhaltigen Transformation des Lebensmittelsektors beitragen.“
Aktion soll Diskussion anregen – Mehrwert wird gespendet
Dr. Amelie Michalke ergänzt: „Es geht nicht darum, die wahren Kosten unmittelbar für alle Lebensmittel einzuführen. Dazu fehlen die umfassenden wissenschaftlichen Grundlagen ebenso wie Antworten auf zentrale Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Wir erhoffen uns jedoch einen starken Impuls, damit wir als gesamte Gesellschaft Preise für Lebensmittel in einer anderen und verursachergerechteren Form diskutieren und betrachten.“ Die Mehreinnahmen der einwöchigen Kampagne – also die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Wahre-Kosten-Preis – spendet PENNY dem „Zukunftsbauer“, einem Gemeinschaftsprojekt mit einer Molkerei, Landwirt*innen und Kund*innen mit dem Ziel, zum Klimaschutz beizutragen und zum Erhalt der familiengeführten Bauernhöfe im Alpenraum beizutragen.
Sollte die nun exemplarisch stattfindende Kampagne erweitert werden, wäre es den Wissenschaftler*innen zufolge denkbar, die Mehreinnahmen in Projekte zur Nachhaltigkeitstransformation landwirtschaftlicher Systeme zu investieren. Auch wäre es möglich, sie einzusetzen, um die Konsumentinnen und Konsumenten zu nachhaltigem Konsum zu motivieren. Auf Grundlage weiterer Erkenntnisse könnte auch untersucht werden, inwiefern eine Anpassung der Mehrwertsteuersätze sinnvoll wäre, um Nachhaltigkeit beim Einkauf zu fördern. Die Wahre-Kosten-Kampagne wurde von wissenschaftlicher Seite innerhalb der beiden Forschungsprojekte HoMaBiLe http://www.homabile.de/ (mit dem Praxispartner Tollwood, gefördert vom BMBF) und FOODCoST https://www.foodcost-project.eu/ (gefördert innerhalb Horizon Europe der EU) entwickelt. Eine Übersicht der neun berechneten PENNY-Eigenmarken gibt es hier.
Bild oben: Bei Bio-Produkten ist der Aufschlag für die wahren Kosten weniger hoch als bei konventionell hergestellten Lebensmitteln. Foto: Penny