Energetische Sanierungen von Wohnhäusern können mithilfe eines Sprint-Konzeptes deutlich schneller und günstiger gelingen. Eine detaillierte Planung, verbesserte Abläufe und eine neue Rollenverteilung auf der Baustelle verkürzen die Dauer der Kernphase einer Sanierung auf 22 Tage. Eine breite Nutzung des Sprintansatzes kann zudem die Sanierungskosten für Hausbesitzende um fast ein Drittel senken, wie eine neue Studie von Agora Energiewende zeigt.
Innerhalb von 22 Bautagen war die Sanierung einer Doppelhaushälfte auf einer Pilotbaustelle in Hamburg abgeschlossen: Die Baustelle folgte dem Konzept des Sanierungssprints, der durch eine stundengenaue Planung und optimierte Abstimmung der Gewerke die Bauzeit deutlich senkt. Flächen-deckend angewandt, kann dieses Sanierungskonzept die Kosten für Hauseigentümerinnen und -eigentümer um rund ein Drittel senken, wie eine neue Studie des Thinktanks Agora Energiewende zeigt. Voraussetzung hierfür ist, dass sich Unternehmen vor Ort auf eine steigende Nachfrage nach dieser Sanierungspraxis einstellen und dadurch zunehmend gewerkeübergreifende Sanierungsteams bilden können. Insgesamt lagen die Sanierungskosten der Pilotbaustelle laut der Analyse bereits am unteren Ende vergleichbarer Sanierungsprojekte – bei erheblich geringerem Aufwand insbesondere für die Bewohnerinnen und Bewohner. Schon die kürzere Bauzeit führte zu Kosteneinsparungen, da sich zum Beispiel die Gerüstmiete auf der Baustelle reduziert.
Planung ermöglicht parallele Arbeitsweise
Der Sanierungssprint setzt auf Effizienzsteigerungen, indem die verschiedenen Gewerke ihre Arbeiten mithilfe einer detaillierten Planung der Baustellenabläufe nebeneinander statt nacheinander ausführen. Agora Energiewende hat gemeinsam mit dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg und dem Institut für Baubetriebslehre der Universität Stuttgart eine wissenschaftliche Analyse der Musterbaustelle erstellt. Die Autorinnen und Autoren zeigen darin weitere Kostensenkungspotenziale durch eine breite Nutzung des Sprintansatzes: Routinen und Lerneffekte steigern die Produktivität der beteiligten Handwerkerinnen und Handwerker; der Einsatz einer Baustellenassistenz entlastet die Fachkräfte und wirkt ebenfalls kostensenkend. Dazu bringen Skaleneffekte bei der Sanierung mehrerer baugleicher Häuser Kostensenkungen durch zum Beispiel Mengenrabatte und den Kauf und Mehrfacheinsatz von Ausrüstung. Zudem optimieren auf Sanierungssprints ausgerichtete Geschäftssysteme ihre Lieferketten, indem sie bei Bestellungen etwa auf Zwischenhändler verzichten können. In Summe kann ein Markthochlauf die Sanierungskosten laut der Studie um rund 30 Prozent senken. Die Effizienzgewinne ermöglichen demnach sowohl höhere Löhne und mehr Projekte für Handwerksbetriebe als auch geringere Sanierungskosten für Kundinnen und Kunden.
„Der Sanierungssprint erleichtert energetische Modernisierung mit innovativen Mitteln und kommt dabei ohne neue Technologien aus. Das Resultat ist eine viel kürzere Baustellenzeit, wodurch ein zentrales Hemmnis für Sanierungen wegfällt“, sagt Simon Müller, Direktor von Agora Energiewende Deutschland. „Damit hat der Sprintansatz das Potenzial, Sanierungen deutlich attraktiver zu machen und den Sanierungsstau bei Ein- und Zweifamilienhäusern zu lösen.“
Um den neuen Ansatz in die Breite zu bringen, sind laut Müller sowohl die Politik als auch das Handwerk gefragt. Denn neben der deutlich engeren Zusammenarbeit der Gewerke und einem detailliert abgestimmten Bauzeitenplan führt der Sanierungssprint auch neue Rollen ein: Ein Sanierungscoach ist die zentrale Koordinierungsstelle auf der Baustelle und achtet auf die Einhaltung des Bauzeitenplans. Eine Baustellenassistenz ist dafür zuständig, den Fachkräften nicht-fachliche Tätigkeiten abzunehmen, wie etwa Aufräumarbeiten oder die Bereitstellung von Werkzeug und Material.
Ein- und Zweifamilienhäuser der Nachkriegsjahrzehnte sind besonders geeignet für den Sanierungssprint
Ein- und Zweifamilienhäuser aus den Nachkriegsjahrzehnten eignen sich aufgrund ihrer ähnlichen Bauweise besonders gut für solche einfachen Sanierungskonzepte. Gleichzeitig bergen sie großes Potenzial, die Energieeffizienz im Gebäudebestand zu verbessern: So machen sie rund 5 Millionen der insgesamt 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser aus und haben noch überwiegend einen hohen Energieverbrauch. Für Unternehmen bietet der Sanierungssprint dementsprechend ein aussichtsreiches Geschäftsfeld: Vor dem Hintergrund der Krise im Neubau und rückläufiger Aufträge kann der Sanierungsmarkt den Auftragsrückgang zumindest teilweise kompensieren – und so wichtige Fachkräfte im Handwerk halten. Zugleich mildert der effizientere Einsatz von Fachkräften den absehbaren Mangel an Kapazitäten für die Umsetzung der Klimaziele ab.
„Der Sanierungssprint ist eine dreifache Absicherung: Er sichert in der Baukrise eine neue Einnahmequelle für das Handwerk, den Werterhalt von Immobilien für Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer und wichtige Treibhausgasminderungen zum Erreichen der Klimaziele im Gebäudebereich“, erklärt Simon Müller die Vorteile des Konzeptes. Um den Sanierungssprint flächendeckend nutzbar zu machen, schlägt Agora fünf Politikmaßnahmen vor:
- Die Einrichtung einer Marktentwicklungsstelle, zu deren Aufgaben es beispielsweise gehört, Wissen und Informationen aufzubereiten und zu verbreiten beziehungsweise Pilotprojekte zu begleiten.
- Die Einführung einer Zusatzqualifikation für Sanierungscoaches.
- Kurzfristige Boosterförderungen, insbesondere um die Anzahl an Sanierungscoaches zu erhöhen, und Prämien für erfolgreiche Sanierungssprint-Projekte.
- Eine pragmatische Anpassung der Förderlandschaft, die über typische Schwierigkeiten beim Erreichen einzelner Sanierungsanforderungen hinweghilft.
- Der Abbau von bürokratischen Hemmnissen, durch weniger Genehmigungspflichten und vereinfachte beziehungsweise reduzierte Abstandsregelungen.
„Damit die Sanierungsraten steigen, ist es neben privatwirtschaftlicher Innovation und politischer Flankierung entscheidend, die Förderlandschaft zu vereinfachen. Gleichzeitig muss Unterstützung bedarfsgerecht ausgestaltet werden, damit sich alle die energetische Sanierung ihres Hauses auch leisten können“, sagt Müller.
Die Pilotbaustelle des Sanierungssprints in Hamburg, die der Konzeptentwickler und Ingenieur Ronald Meyer begleitete, beinhaltete die Dämmung der Gebäudehülle, den Austausch der Öl-Heizung mit einer Wärmepumpe, die Installation einer PV-Anlage auf dem Dach, umfassende Modernisierungsmaßnahmen – etwa neue Fußböden und die Komplettsanierung des vorhandenen Bads – sowie eine Wohnraumerweiterung im Dachgeschoss einschließlich neuem Bad. Energiebedarf und CO₂-Emissionen des Hauses sind im Ergebnis um 90 Prozent gesunken. Die Kosten beliefen sich auf 2.579 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Vergleichbar umfassende Sanierungen in der konventionellen Baupraxis kosten zwischen 2.450 und 3.650 Euro pro Quadratmeter. Ein Markthochlauf könnte den Preis der Studie zufolge auf knapp 1.900 Euro pro Quadratmeter senken.
Die Studie „Der Sanierungssprint für Ein- und Zweifamilienhäuser – Potenzial und Politikinstrumente für einen innovativen Ansatz zur Gebäudesanierung“ ist in Zusammenarbeit mit dem ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH und dem Institut für Baubetriebslehre der Universität Stuttgart erschienen. Analysegrundlage ist der Praxisbericht „Der Sanierungssprint – Wie ein innovatives Konzept den Sanierungsstau bei Ein- und Zweifamilienhäusern auflösen kann. Ein Praxisbericht“, den die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) und das Ingenieurbüro Ronald Meyer in Zusammenarbeit mit Agora Energiewende im März 2024 herausgebracht haben. Die vorliegende Studie enthält eine baubetriebliche und wirtschaftliche Auswertung der Pilotbaustelle, eine Ermittlung der Kostensenkungspotenziale sowie Politikvorschläge zum Markthochlauf des Sanierungssprints. Die Studie steht hier zum kostenfreien Download bereit.
Bild oben: Der Sanierungssprint beschleunigt die Sanierung von Ein- oder Zweifamilienhäusern erheblich und senkt die Emissionen. Grafik: Circular Technology mit DALL-E